Boris Stein: erst Nachwuchs, dann Triathlon-WM
14. März 2022
Ende März steigt Profiathlet Boris Stein beim Ironman 70.3 Lanzarote in eine Saison ein, die für ihn mit einigen grundlegenden Veränderungen begonnen hat: Zwei Sponsoren sind weg, dafür ist sein zweites Kind auf der Welt. Der ehemalige Mitteldistanz-Europameister über seine Doppelrolle als Papa und Profi – und deren Herausforderungen.
Wenn ein Rennen verschoben wird, dürften die wenigsten gemeldeten Athleten begeistert darüber sein. Schließlich hängt für gewöhnlich eine ganze Saisonplanung an solchen Terminen. Über eine Datumsänderung hat sich Profiathlet Boris Stein aber ziemlich gefreut: die Verschiebung der Ironman-WM in Utah vom Februar auf den 7. Mai 2022. Sie hat seine Planungen nämlich deutlich einfacher gemacht. Denn Boris Stein ist im Februar zum zweiten Mal Vater geworden.
Ein freudiges Ereignis, das jede Familie naturgegeben erstmal aus dem gewohnten Rhythmus bringt. Und auch wenn die Ankunft des neuen Familienmitglieds nun nicht mehr mit der WM kollidiert, wirkte und wirkt sie sich doch auf den (Trainings-)Alltag des Profiathleten aus. „Um die Geburt habe ich mir natürlich ruhigere Tage gegönnt, um das Glück auch zu genießen und Zeit mit meiner älteren Tochter zu haben, für die dieses Ereignis ja auch ein großer Einschnitt war“, erzählt der Zweitplatzierte des Ironman Lanzarote 2021.
Und auch in den Wochen davor und danach sah das Training anders aus als gewohnt. Boris Stein verbrachte deutlich weniger Zeit im Trainingslager, um seine Familie zu Hause unterstützen zu können. Er kappte seine Trainingscamps und absolvierte den Großteil seiner Saisonvorbereitung in seiner rheinland-pfälzischen Heimat. Auch bei Minusgraden – was früher quasi undenkbar gewesen wäre. Da stand er manchmal erst um 9:30 Uhr auf, weil es ihm vorher zu kalt zum Training draußen war.
350 Kilometer, 10,5 Stunden, 1 Stopp
Ganz neu ist Boris Stein langes Fahren bei kühlen Temperaturen aber nicht. Schon während des Lockdowns im März 2020 hatte er den heimatlichen Westerwald mit dem Mountainbike erkundet – und selbigen sogar einmal am Stück umrundet: 350 Kilometer, 10,5 Stunden, mit nur einem Stopp, um im Supermarkt Trinkflaschen und Verpflegung aufzufüllen. Wenn Boris Stein trainiert, trainiert er, ohne Kompromisse.
Die musste er hinsichtlich seines Formaufbaus in diesem Winter auch ohne Trainingscamp nicht machen, ist er überzeugt. Mit seinem Trainer Björn Geesmann hat der ehemalige 70.3-Europameister die vergangene Saison analysiert – mit dem Ergebnis, dass es vor allem Schwächen im intensiven VO2max Bereich gibt. „Um den zu trainieren, muss ich nicht wegfahren. Da geht vieles indoor“, sagt Boris Stein.
Das Training drinnen kommt dabei nicht nur seiner Leistungsfähigkeit zugute, sondern auch seinem Risikobewusstsein, das definitiv größer geworden ist, seit er Kinder hat: „Gerade im Training fahre ich viel defensiver Rad als vorher.“
Auch strukturierter sei er geworden, damit mehr Zeit für die Familie bleibt, aber „Triathlon als Profisport ist ein Egotrip und vereinnahmt unser Familienleben total“, erzählt Boris Stein. „Ich bin ja auch in der Saisonpause Profisportler, an Weihnachten, Ruhetagen, während Verletzungspausen … entsprechend dreht sich unser Alltag viel um mich.“
Überlegt entscheiden und kritisch bleiben
Etwas verschoben hat sich dieser Fokus mit der Familiengründung aber doch. Boris versucht, außerhalb von Wettkampfreisen und Trainingscamps seinen Terminplan so zu gestalten, dass er für seine Frau und seine Kinder da sein kann, wenn er gebraucht wird. Eine Flexibilität, die „sicher ein Luxus ist, den Agegrouper nicht haben.“ Und für Boris Stein keine lästige Pflicht, sondern ein echtes Geschenk: „Es bedeutet mir etwas, wenn ich mit meiner Tochter zum Kinderturnen gehen kann oder ihr beim Schwimmenlernen zuschauen darf.“
Obwohl er und seine Frau Katharin Familienmenschen sind, haben sie sich gut überlegt, ob Kinder in ihr Lebensmodell passen. Ob sie der Verantwortung gerecht werden und dem Kind etwas mitgeben können. Fragen, die beide mit Ja beantworten konnten. Eine Entscheidung, die Boris nie bereut hat.
Kritisch bleibt er sich selbst gegenüber dennoch – als Vater, als Profisportler und in seiner Rolle als beides gleichzeitig. So glaubt er zum Beispiel, als Papa noch viel in puncto Kommunikation auf Augenhöhe mit seinen Kindern lernen zu können und liest entsprechende Ratgeberbücher, die ihm „interessante Einblicke in die zwischenmenschliche Kommunikation geben“.
Neues zu lernen, reizt ihn ohnehin. So startete er während der pandemiebedingt rennfreien Zeit seinen (mittlerweile wieder eingestellten) Podcast „Zielverpflegung“, in dem er, der extrem still wirkt, wenn man ihn nicht kennt, munter mit Profikollegen plaudert, und von Mal zu Mal routinierter wirkt.
Das WM-Ziel: Top 10
Lernen, so glaubt er, muss er auch als Athlet noch. Vor allem, Verletzungen ernster zu nehmen und sie besser auszukurieren. Die Zeit gab er sich bisher selten. So stand er nur zwei Monate, nachdem er sich bei einem Sturz Hüftpfanne und Schambein gebrochen hatte und zehn Wochen nach einem Ellbogenbruch wieder am Start einer Langdistanz. Aber sein Körper zeigt ihm immer deutlicher, dass sich „mit zunehmendem Alter solche verletzungsbedingten Dysbalancen nicht mehr einfach auswachsen“.
Und er ist nun ja auch Vorbild für seine beiden Kinder. Als profisportelnder Papa mag er zum einen die Werte, für die der Ausdauersport steht: dass Fleiß sich lohnt, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper wohnt. Zum anderen hofft er, seinen Kindern vorzuleben, dass es sich lohnt, seiner Leidenschaft nachzugehen und die Ziele zu verfolgen, die einem im Moment erstrebenswert vorkommen.
Das sportliche Ziel, das für Boris Stein aktuell erstrebenswert ist, ist ganz klar die Ironman-WM in St. George, Utah: „Ich will wieder in die Top 10“, kündigt er an. Die restliche Saison hängt dagegen noch in der Schwebe, nachdem im November vergangenen Jahres überraschend die Zusammenarbeit mit seinen beiden wichtigsten Partnern zum Ende kam und noch kein adäquater Ersatz in Sicht ist.
Konzentration auf das, was beeinflussbar ist
„Ende letzten Jahres ging es mir nicht wirklich gut“, räumt Boris Stein ein. Nun möchte er sich aber auf die Dinge konzentrieren, die er beeinflussen kann. Das ist neben der WM, die er sich „als Höhepunkt nochmal gönnen“ möchte, bestenfalls noch eine Langdistanz im Sommer. „Mittelfristig soll es aber Profisport bleiben – und nicht Papas teures Hobby“, sagt er. „Die Ergebnisse werden zeigen, was ich wirtschaftlich noch vertreten kann.“ Eines ist jedoch sicher: Seine Familie wird hinter ihm stehen. Ob der studierte Gymnasiallehrer nun einen Rennanzug oder einen Aktenkoffer trägt.
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