Extraportion Motivation: „Verdammte scheiß Intervalle!“
18. März 2022
Vielen dürfte ein ähnlicher Fluch im Training schon einmal rausgerutscht oder zumindest durch den Kopf gegangen sein. Die gute Nachricht für alle, denen das regelmäßig passiert: Fluchen kann die Leistung steigern.
Wem kommt diese Szene bekannt vor: Intervalle auf der Rolle stehen an. Harte Intervalle. Beim letzten Durchgang brennen die Muskeln so, dass man glaubt, die Kurbel keinen Millimeter mehr bewegen zu können. Schon gar nicht bei der gewünschten Intensität. Eine Welle aus Frust und Wut wallt auf, die sich in einem beherzten: „Aaaaah, verdammte SCHEISSE!“ bahnbricht. Und plötzlich geht doch noch was.
Wirkt fluchen etwa leistungssteigernd? Dafür gibt es tatsächlich Hinweise. Schon 2009 stellte Richard Stephens von der britischen Keele University fest, dass Probanden die Hand länger in Eiswasser halten konnten, wenn sie dabei lauthals schimpften. Fluchen erhöhte anscheinend deren Schmerztoleranz.
Zu diesem Zeitpunkt gingen Stephens und seine Wissenschaftlerkollegen davon aus, dass dieser Effekt in der sogenannten „Kampf oder Flucht“-Reaktion des Körpers begründet liege. Sie vermuteten, dass durch das Fluchen ein Stressimpuls ausgelöst werde und der Körper Adrenalin ausschütte. Ein Stresshormon, das unter anderem Energiereserven mobilisiert sowie Schmerzen herunterregelt.
Mehr Kraft dank Kraftausdrücken
In zwei weiteren Experimenten versuchte Richard Stephens, diese Annahme zu bestätigen. Auf den ersten Blick schien dies auch zu gelingen: Die Leistung der Probanden wurde besser, wenn sie fluchen durften – sowohl in einem Test der Greifkraft, bei dem sich selbige um 8,2 Prozent erhöhte, als auch im Wingate-Test. Bei diesem mussten die Probanden auf einem feststehenden Bike auf maximale Geschwindigkeit beschleunigen. Sobald diese erreicht war, schaltete sich ein hoher Widerstand zu, gegen den die Probanden für die nächsten 30 Sekunden antreten mussten. Hier generierten sie 4,6 Prozent mehr maximale Tretkraft, wenn sie Schimpfwörter hinausbrüllen durften.
Nur: Es gab keinerlei biologische Anzeichen dafür, dass hier der „Fight or Flight“-Reflex greift. So unterschied sich beispielsweise die Herzfrequenz nicht großartig beim Durchgang mit und dem ohne Fluchen. Was also bewirkte die Leistungsverbesserung?
„Zu Fluchen und den Frust herauszuschreien kann etwas Befreiendes sein. Fluchen könnte allein durch dieses mentale ,sich Luftmachen‘ Energie freisetzen, die einen weitermachen lässt“, vermutet Ute Simon, die als Mentalcoach und aktive Triathletin Theorie und Praxis der ausdauersportlichen Herausforderungen kennt.
Zu dem Schluss, dass die fluchbedingte Leistungsverbesserung mental begründet sein könnte, kommt auch Richard Stephens. Er glaubt, es sei eine Art „Loslass“-Effekt durch das Fluchen festzustellen, der wiederum dafür sorgt, dass „jede Sorge, dass man sich überanstrengen oder die Situation peinlich werden könnte, leichter beiseitegeschoben wird.“ Es entstehe eine Art „Ist mir doch egal“-Haltung, die einen durchhalten lässt.
Ist Fluchen ein Segen?
„Es kann sicherlich funktionieren, sich mit einem Tritt in den eigenen Hintern zu motivieren, anstatt mit positiven Mantras“, ist Ute Simon überzeugt. Ob und wie gut das klappt, so glaubt sie, sei einerseits typabhängig, andererseits hänge es auch damit zusammen, wie man es früher gelernt hat: „Kinder, in deren Elternhaus nie geflucht wurde, werden das als Erwachsene eher nicht tun, oder aber, wenn sie es tun, sich nicht wohl damit fühlen, weil es ja eigentlich nicht sein darf. Sie erfahren somit die befreiende Wirkung nicht, für die das Fluchen eigentlich stehen sollte. Schon gar nicht in der Öffentlichkeit eines Wettkampfs“, meint die Mentaltrainerin.
Wenn jemand flucht, um Energien freizusetzen, dann sollte er es richtig tun. Das sagt zumindest die Wissenschaft und bedeutet: Man sollte „echte“ Schimpfwörter benutzen. Denn in einer Studie aus dem Jahr 2020 stellte Fluch-Forscher Stephens fest, dass die Schmerztoleranz der Probanden um satte 33 Prozent stieg, wenn sie statt neutralen Fantasiewörtern wie „Fouch“ das richtige „F“-Wort benutzten. Ob das aber unbedingt laut herausgebrüllt werden muss, bezweifelt Ute Simon: „Bei manchen reicht schimpfen schon als innerer Selftalk. Dann nämlich, wenn der Druck nicht so da ist. Bei anderen ist der Druck vorhanden, dann muss er raus. Wie bei einem Dampfkochtopf.“
Nett ist auch okay
Welcher Typ jemand ist und ob Fluchen überhaupt motivierend auf einen wirkt, lässt sich zunächst mit Selbstbeobachtung herausfinden: Was mache ich gerade intuitiv? Was bewirkt das? Bemerkt jemand, dass er durch Schimpfen eher in eine Negativspirale gerät und sich selbst runtermacht, sollte er es tunlichst lassen und durch positive Bestärkung oder Mantren ersetzen. Am besten mithilfe eines Mentalcoaches.
Sonst droht die Gefahr, „die Kurve nicht mehr zu kriegen und die letzten Reserven zu zerstören. Selbstvorwürfe lassen die mentale Stärke ganz schnell flöten gehen“, warnt Ute Simon. Wenn aber jemand flucht und merkt, dass ihm das guttut, kann er oder sie ruhig weitermachen: „Solche Athleten müssen auch keine Mentalübungen machen, sie machen das intuitiv richtig“, sagt Ute Simon.
Einen Mittelweg gehen und nur leise vor sich hingrummeln würde die Mentaltrainerin aber eher nicht, denn: „Das ist nichts Halbes und nichts Ganzes.“ Und wenn man schon die gute Kinderstube kurz vergisst, dann sollte das doch wenigstens etwas bewirken. In diesem Fall, vielleicht sogar etwas Gutes.
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