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Geballert für den Weltrekord: Run With The Flow

31. Januar 2021


Florian Neuschwander hängt erschöpft über den Rand eines Laufbandes

Als Florian Neuschwander um kurz vor Acht die Turnhalle 17 in Traunstein betritt, meint man nicht, dass er der Teufelskerl ist, der hier und heute einen neuen Weltrekord aufstellen will. Die nächsten Stunden werden intensiv – sportlich wie emotional. Ein Erlebnisbericht.

Hand aufs Herz: Wirklich sicher, ob das heute so richtig spannend wird, bin ich mir noch nicht. Ich meine, es geht um 100 Kilometer auf einem Laufband. Come on, Leute. Zweifelsohne eine beeindruckende Leistung, Rekordversuch hin oder her. Aber 100 Kilometer bleiben halt auch 100 Kilometer auf dem Laufband. Wäre da nicht etwas, was alles verändert.

Seltsam aufgeregt geistere ich durch die Turnhalle und gehe dabei hauptsächlich Nick und Clemens auf den Sack, während sie die finale Technik für den Start des Livestreams vorbereiten: Es geht hier nicht um irgendeinen Rekordversuch. Es sind auch nicht irgendwelche 100 Kilometer auf irgendeinem Laufband, die da auf uns warten. Florian „Run With The Flow“ Neuschwander ist nämlich der Protagonist. Das reicht mir, um hier einfach alles gut zu finden. Ich bin hyped. Die erste Gänsehaut des Tages habe ich in dem Moment, in dem Flow mit einer Kiste voller Trinkflaschen in die Halle geschlurft kommt und ruft: „Moin, habt ihr Bock?“ Ja, Mann, und wie! Heute ist der beste Tag seit langer, langer Zeit für Fans wie mich.

Run With The Flow 100 Kilometer Weltrekord

Was für ein Typ. Während wirklich alle von den wenigen involvierten Personen angespannt und aufgeregt wirken,  ist der Einzige, der hier ein bisschen Luft rauslässt und für Lockerheit sorgt, dieser Flow. Es wird gescherzt, gelacht – und dann wird geballert. Nach einem kurzen Warm-Up bei 13 km/h, kann es losgehen. Weltrekord-Time. Zeit für ein neues Kapitel Ultralauf-Geschichte. Gänsehaut Nummer Zwei.

Die Kilometer fliegen nur so vorbei. Ohne uns zu versehen heißt es plötzlich: Marathon in 2:42 Stunden. Ich meine: MARATHON IN 2:42 STUNDEN! Und als hätte es nicht bereits zahlreiche andere Gelegenheiten gegeben, um sich diese Frage zu stellen, schießt sie mir genau jetzt in den Kopf: Was stimmt eigentlich nicht mit dem? Schließlich muss er jetzt ja noch einen Marathon laufen – plus einen halben. Die Pace liegt aktuell bei einem Schnitt von 3:51 Minuten pro Kilometer.

Vor dem Start war immer wieder Thema, welche Strategie und welches Pacing Flow verfolgt: „Ich laufe mit 3:51 Minuten pro Kilometer los und schaue wie ich mich fühle.“ So weit, so wahnsinnig. „Wenn ich mich gut fühle, dann ziehe ich das bis Kilometer 50 durch und vielleicht gehe ich dann auf 4:00 Minuten pro Kilometer runter, um mich aktiv zu erholen,“ erklärt der Baller-Mann. Alle, die das hören, nicken bloß verständnisvoll – haben aber eigentlich gar keine Ahnung. Geht nicht. Sowas kann sich keiner vorstellen. Noch ungläubiger sind dann nur noch die Blicke, als Flow das Tempo bei der 50-Kilometer-Marke wider Erwarten nicht auf 4:00 Minuten pro Kilometer drosselt – sondern auf 3:44 Minuten pro Kilometer erhöht. Gänsehaut Nummer Drei.

Ab jetzt geht alles irgendwie schneller. Countdown rückwärts, Flow Vollgas voraus. Ich entscheide spontan, dass es für mich ab jetzt nicht mehr Vollgas voraus, sondern einfach nur noch Flowgas voraus heißt. Sein Vorsprung auf die alte Weltbestzeit beträgt mittlerweile mehrere Minuten und es gibt kein einziges Anzeichen von Schwäche. Ganz im Gegenteil. Immer noch witzelt er mit den grandiosen Moderatoren Till Schenk und Hartwig Thöne um die Wette. Er genießt sichtlich die eingespielten Motivationsclips von alten Wegbegleitern und die kurzen Liveschalten zu seinen Sportsfreunden René, Marcel und Stefan. Ganz besonders scheint ihm allerdings eine Person wichtig zu sein: Patrick Lange.

Ab Kilometer 60 ist Patrick zur Stelle und die freundschaftliche Verbundenheit der beiden Ausnahmeathleten ist durch die Internetleitung zu spüren. Flow ist an einem Punkt angekommen, ab dem es jetzt nur noch mit Support klappt. Klar, seine unnachahmliche Laufleichtigkeit ist ihm nicht abhanden gekommen. Äußerlich alles gut. Aber auch ein Phänomen wie Florian Neuschwander hat ein Innenleben. Ich bin sicher, dass irgendwas – auch wenn niemand von uns so ganz genau sagen kann, was es ist – in ihm vorgehen muss. „Eigentlich bin ich die ganze Zeit nur noch mit Kopfrechnen beschäftigt“, hatte Flow am Tag zuvor noch erklärt. Okay. Aber da muss doch mehr sein. Und da ist mehr.

Kurz nach Kilometer 70 flackert zum ersten Mal der Inner-Flow durch: Ein lautes, starkes Hu! wummert durch die Halle. Ab Kilometer 80 werden diese Rufe noch energetischer und dann plötzlich Gänsehaut Nummer Vier: „Komm‘ jetzt, Junge!“ Ja, komm‘ jetzt Junge! Ich bin kurz davor in meine Laufklamotten zu springen und selbst loszuballern. Je näher die 100 Kilometer-Marke rückt, desto mehr Motivation scheint sich in Flow breit zu machen. Während andere Athleten unter Anstrengung anfangen zu keuchen und zu stöhnen, scheint für Flow jetzt erst die Phase zu kommen, auf die er gewartet und auf die er so richtig Bock hat. „Come on!“

Run With The Flow

Der Rest ist schnell erzählt. Nach 6:26:08 Stunden stoppt die Uhr von Flows Laufband. Weltrekord! Die alte Bestmarke wurde pulverisiert und wer weiß, wie lange diese Zeit nun Bestand haben wird. Feststeht allerdings, dass hier gerade Ultralauf-Geschichte geschrieben wurde. Und Florian Neuschwander ist der Autor dieser wunderbaren Geschichte, die im mehrfachen Sinn unglaublich ist. Mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 3:52 Minuten pro Kilometer hat er das Ding nach Hause gebracht. 100 Kilometer auf dem Laufband. Unglaublich.

In diesem Sinne: Ab jetzt nur noch Flowgas voraus!

 

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10 Kommentare

  1. Einfach unfassbare Leistung von Flow!!
    Dazu den Blog echt schön geschrieben, wie eigentlich immer! Macht echt Spaß!

    Bekommt ihr einen Podcast zusammen mit ihm hin?

    Beste Grüße
    Stanley

  2. Super geschrieben, für uns war es als wären wir dabei irgendwie intensiver als am Bildschirm

  3. FLOWGAS FLOWntaine!
    Fühlte sich als Groupie dieses authentischen Typs auch sehr richtig an… Der Text ergänzt die Performance von René, Till, Euch, eben allen! DANKE

  4. Der Typ legt echtes Understandment an den Tag und verkörpert das wie man Sport leben sollte.
    Mit viel Spaß und Ungezwungenheit.
    Am Ende ist es doch Sport.
    Nicht mehr.
    Tolle Inspiration von PL & Flo.
    Schön dass es euch gibt 😜👍

  5. Grandiose Leistung von Flo 💪 und sehr inspirierend.
    Es war aber auch überragend von euch organisiert und von Til und Hadi sensationell moderiert.

    Macht bitte weiter so!

  6. unglaublich beeindruckend dieser Rekord,
    Großes Kompliment und Gratulation für den brillanten, eindrucksvollen Bericht, zutiefst motivierend für die persönlichen sportlichen Träume und Ziele.

  7. Toller persönlicher Artikel!
    Flo war gigantisch. Aber nicht vergessen: Ihr habt auch richtig gut abgeliefert. Von allen Seiten war zu hören: Coole Bilder, feine Schnitte. Es war extrem unterhaltsam. Gute Performance 😉
    Grüße von HQ zu HQ 😉