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Gustav Iden im Interview: Zwischen Magie und Müdigkeit

17. Oktober 2022


Gustav Iden auf der Laufstrecke Hawaii

Stell dir vor, du gewinnst den Ironman Hawaii, die wahre Herausforderung kommt aber danach: der Medien-Marathon. Für uns fand sich dennoch ein Plätzchen im Kalender von Weltmeister Gustav Iden. Ein Gespräch über neue Maßstäbe im Triathlon, auf der Laufstrecke und beim Erschöpfungszustand des Ausnahme-Athleten … (Bild: activimages)

Was fragt man einen Weltmeister, der seit Tagen eigentlich nichts anderes macht, als Fragen zu beantworten …? Es ist vor allem diese Frage, die mir im Kopf herumgeistert, als ich mich auf das Gespräch mit Gustav Iden nur wenige Tage nach seinem beeindruckenden Sieg bei der Ironman Weltmeisterschaft auf Hawaii vorbereite. Man will ja niemanden langweilen. Andererseits ist es unmöglich, Fragen zu stellen, die noch niemand gestellt hat. Umso erleichterter bin ich, als mir virtuell ein relaxter „World Champion 2022“ gegenüber sitzt, der sich für keine Frage zu schade ist. Puh, Glück gehabt – von Allüren keine Spur!

Eine neue Ära im Triathlon?

Und so erlebe ich vor ein paar Tagen einen frisch gebackenen Sieger des nach wie vor wichtigsten Rennens unseres Sports, der räsoniert Einblicke in sein Athleten-Seelenleben zulässt. Letzteres ist aber nicht nur von überschwänglicher Sieger-Euphorie geprägt. Denn auch darüber, dass ihm nach Hawaii noch ein wenig die Power fehlt, schweigt sich der 26-Jährige aus der „Norboys“-Squad nicht aus. Gehört wohl dazu – ebenso, wie es mit der Partystimmung anlässlich des Titels nicht zu übertreiben. Der Blick in die Zukunft reizt ihn eben mehr. Und die sieht ziemlich spannend aus.

Denn gerade mit seiner beeindruckenden Lauf-Performance hat Gustav Iden nicht nur einen neuen Streckenrekord auf Hawaii aufgestellt. Ganze Maßstäbe hat er damit verschoben – nicht zuletzt dank der Zusammenarbeit mit ON. Die hat nämlich gerade erst begonnen und dürfte, seiner eigenen Prognose zufolge, dafür sorgen, dass sich die dritte Disziplin in den nächsten Jahren enorm weiterentwickeln wird …

Die wahre Herausforderung stand dir ja erst nach dem Sieg bevor: Die vergangenen Tage dürften ein einziger Medien-Marathon gewesen sein. „Ironman World Champion 2022“ – was bedeutet dir dieser Titel eigentlich?
Gustav Iden: Die letzten Tage waren verrückt! Ich freue mich darauf, wieder ein ganz normales Athleten-Leben führen zu können – und einfach zu trainieren. Dennoch bedeutet mir der Titel viel. Jetzt fehlt mir eigentlich nur noch Olympisches Gold und dann bin ich bald mit Triathlon durch (lacht).

Vor dem Rennen hast du im Interview bei Bob Babbitt gesagt, du könntest den Hype um so manchen ikonischen Streckenabschnitt nicht ganz nachvollziehen („Für mich ist es einfach nur ein Highway!“). Hat sich dein persönliches Verhältnis zu diesem Rennen verändert?
Gustav Iden: Ich muss zugeben: Das Radfahren lief während des Rennens zwar wesentlich besser als im Training – aber es war immer noch nicht die spannendste Radstrecke meines Lebens. Ich habe einfach versucht, der Dynamik des Rennens gerecht zu werden und Energie für den Marathon zu halten. Andererseits ist es aber eben auch ein Ironman. Da ist es unmöglich, während der gesamten Zeit Spaß zu haben. Dafür ist das Rennen zu lang. Aber: Beim Laufen habe ich die Hawaii-Magie dann umso mehr zu spüren bekommen. Über den Ali’i Drive mit so vielen Zuschauern zu laufen, dann plötzlich auf dem Queen K ganz mit sich allein zu sein und schließlich wieder zurück in Richtung Publikum zu laufen, war ein sehr besonderes Erlebnis. Ich mochte den Kontrast – und die Bedingungen machen das Rennen zusätzlich hart. Das prägt den Mythos ebenso.

Jeder einzelne Athlet hat eine großartige Geschichte zu erzählen, die er in diesem Moment über die Finishline trägt.

Also doch ein ikonisches Rennen für dich …?
Gustav Iden: Ja, aber nicht nur dank meines Siegs. Insbesondere die Stimmung, die bei der Finishline-Party um Mitternacht geherrscht hat, hatte etwas Magisches für mich. All diese Menschen mit all ihren Emotionen finishen zu sehen, war unglaublich. In diesem Moment realisierst du auch als Profi: Jeder einzelne Finisher hat eine großartige Geschichte zu erzählen, die er über die Finishline trägt – nach all der Vorbereitung für dieses besondere Rennen. Ich hatte die Ehre, die letzten Finisher zu begrüßen und ihnen die obligatorische Kette umzulegen. Als ich auf einen Agegrouper zukam, lehnte der dankend ab und meinte nur: „Nein, das soll sie machen!“ – und deutete auf seine Frau, die neben mir stand. Sie umarmten sich, küssten sich, weinten gemeinsam. Das war sehr bewegend. Und gleichzeitig war es sehr lustig, weil ich etwas völlig anderes erwartet hatte und dachte, dass doch jeder sich wünschen wollen würde, vom Weltmeister empfangen zu werden (lacht). Aber darum geht es auf Hawaii eben nicht, sondern um Größeres, nämlich: diesen Moment mit denjenigen zu genießen, mit denen du so hart daran gearbeitet hast.

Wenn du so über diese besondere Beziehung sprichst, die Agegrouper zum Triathlon haben: Welche Beziehung hast du selbst dazu? Ist Triathlon mehr als nur ein „Job“?
Gustav Iden: Meine wahre Leidenschaft ist eigentlich das Trainieren. Und dieses Training ist für mich wirklich das, was ich als „Traumjob“ bezeichnen würde. Die Wettkämpfe sind dann eher Pflichtveranstaltungen, bei denen du eben unter enormem Druck stehst. Sie sind für uns Profis nicht nur ein Kampf gegen uns selbst. Wir alle arbeiten jeden Tag extrem hart daran, dass all unsere Träume wahr werden. Als Agegrouper kannst du stolz auf dich sein, ein Rennen über die Finishline zu bringen. Als Profi bin ich allerdings enttäuscht, wenn ich es nicht auch gewinne. Die Freude daran, einen Triathlon ins Ziel zu bringen, ist bei Profis also geringer – und dennoch ist es für mich nach wie vor der beste Beruf der Welt.

Erwartungen sind ein gutes Stichwort: Im Grund hat die ganze (Triathlon-)Welt erwartet, dass einer von euch „Norboys“ gewinnt. Wie hast du es geschafft, bei diesem Spielchen aus Erwartungen, Druck & Co. mental möglichst bei dir zu bleiben? Haben all diese medial omnipräsenten Erwartungen eine Rolle im Rennen für dich gespielt?
Gustav Iden: Herausfordernd war eher: Kristian und ich sind einerseits die besten Trainings-Buddys – und gleichzeitig galten wir beide als Anwärter auf den Titel. Ich wusste, um zu gewinnen, musste ich mich von ihm lösen. Aber genau das ist natürlich schwierig, wenn er all meine Schwächen und Stärken kennt, und ich wiederum seine. Andererseits ist es sehr angenehm, dass der Druck verteilt auf unseren Schultern liegt. Selbst bei einem DNF wusste ich, dass mein Team den Sieg holen könnte. In St. George war es ähnlich: Es war ein Team-Sieg, obwohl ich es nicht bis über die Finishline geschafft habe.

War dann der Rookie-Status vielleicht doch dein kleines Erfolgs-Geheimnis – gerade, weil du ganz unbefangen an das Rennen herangehen konntest?
Gustav Iden: Ich glaube, Informationen zu haben, ist immer besser. Das ist tatsächlich auch unser Credo bei der Trainingsgestaltung: Je mehr Wissen du hast, desto weisere Entscheidungen kannst du treffen. Wenn ich kein Rookie, sondern etwas erfahrener auf der Strecke gewesen wäre, hätte ich noch besser performen können. Allerdings glaube ich auch, dass es deine Kreativität fördert, Rookie zu sein: Du musst in jedem Moment kreative Auswege finden, wenn du noch keine Erfahrung hast. Auch das ist sicher wichtig. Grundsätzlich glaube ich aber, dass eine gute Mischung aus Wissen und Kreativität der Schlüssel ist. Zumindest im Triathlon.

Ich blicke noch nicht allzu positiv auf die 70.3 WM in St. George.

Hawaii ist gefühlt gerade erst vorbei, ihr habt aber schon das nächste Rennen vor der Brust: die 70.3 WM in St. George. Wie werden die nächsten Wochen aussehen?
Gustav Iden: Aktuell fühle ich mich noch nicht gut. Meine Beine fühlen sich schwer an, das Rennen wirkt definitiv noch nach. Bedingt durch das Reisen, aber auch die Medientermine hatte ich noch kaum Zeit, mal kurz alles sacken zu lassen und zu entspannen. Ich muss also gestehen, dass mein Blick auf das nächste Rennen aktuell nicht allzu positiv geprägt ist … Jetzt geht es also erst einmal darum, mich zu 100 Prozent zu erholen – und dann in den letzten Tagen vor dem Rennen noch einmal ein paar rennspezifische Einheiten zu absolvieren. Aber es wird hart. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es mir nach meinem Ironman in Florida im vergangenen Jahr so ging wie jetzt. Ich war jedenfalls nicht so müde wie nach Hawaii. Und ich hatte auch nicht erwartet, dass das Rennen so lange nachwirken würde.

Nach dem Rennen hast du durchblicken lassen, dass du glaubst, dass gerade beim Laufen noch einiges mehr drin wäre – auch und gerade im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit ON, die kurz vor Hawaii bekanntgegeben wurde. Wie genau sieht diese Zusammenarbeit denn aus? Und was dürfen wir da erwarten?
Gustav Iden: Auf Hawaii bin ich im Cloud Echo Boom 3 gelaufen, also einem Schuh, den es bei ON bereits gibt. Wir haben bloß ein paar Modifizierungen an dem Schuh vorgenommen, damit er besser zu mir und meinem Laufstil passt …

… Modifizierungen heißt?
Gustav Iden: Ich kann leider nicht alles verraten. Aber was ich sagen darf, ist: Wir haben ein bisschen an der Platzierung der Carbonplatte gespielt. Im Höhentrainingslager haben wir zwei Prototyp-Runden genutzt mit sehr langen Einheiten auf der Bahn. Und das vor allem, um zu sehen, was einen Schuh für mich zu einem schnellen Schuh macht. Das war jetzt bloß der erste Prozess der Zusammenarbeit. Das nächste Level wird sein, einen Schuh herzustellen, der von Beginn an zu mir und meiner Lauf-Performance passt. Ein Schuh, der also „perfekt“ nur auf mich abgestimmt ist – und darauf freue ich mich schon jetzt sehr!

Könnte diese Art der Zusammenarbeit die Zukunft im Triathlon werden? Ein neuer Maßstab im Profisport?
Gustav Iden: Ja, davon bin ich überzeugt. Vor sechs Jahren haben wir uns dazu entschieden, unser Training zum besten der Welt zu machen. Aber die anderen waren in den letzten Jahren natürlich nicht untätig. Es reicht also nicht mehr, einmal zu gewinnen, inzwischen musst du über Jahre gewinnen, um ganz vorne mitzuspielen. Die Zusammenarbeit mit Sportmarken wie ON ist also auch für mich der nächste logische Schritt: Ich bekomme etwas, das speziell für mich gemacht ist – und das wird immer zu meinem Vorteil sein. Es gehört heute einfach dazu, als Athlet nicht nur im Training auf Perfektion zu setzen, sondern auch in allen anderen Bereichen.

Letzte Frage: Existiert das Wort „Off-Season“ in deinem Saisonplan überhaupt? Und wie sieht diese doch ebenso wichtige Phase genau aus?
Gustav Iden: Ja, es gibt schon eine gewisse „Off-Time“, aber die ist nicht allzu lang (lacht). Für uns ist es wichtig, schnell auf das nächste Ziel zu schauen – und das heißt ganz klar: Paris 2024.

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2 Kommentare

  1. Interessantes Interview, das mich zur folgenden Frage bringt. Schaue ich mir die Competition Rules von Ironman und der WTC an, gibt es keinen spez. Paragraphen zu Laufschuhen, allerdings den Hinweis auf die IAAF. Hier heißt es sinngemäß sehr deutlich, dass Prototypen (=Costumised Shoes) IMMER ein Approval brauchen. Außerdem ist auch bei Customised Schuhen die maximale Sohlendicke von 40mm einzuhalten. Gibt es eine offizielle Kommunikation von Ironman, die diese Regel außer Kraft setzt? [Quellen: IM Competition Rules Article I., WTC Competition Rules 1.1 c) und IAAF Book of Rules C2.1A (Athletics Shoe Regulation) 7.2.1 und Appendix 3]

  2. Lieber Janosch,

    huiuiui, spannende Frage – und beeindruckend dargelegt. Von einer offiziellen Kommunikation weiß ich nichts, aber wir schauen uns das an. Spannender Kommentar auf jeden Fall!

    Liebe Grüße
    Lena