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Andreas Raelert: „Es soll sich nochmal auszahlen“

01. März 2021


Andreas Raelert Motivation

Er war im Profitriathlon ganz oben und ganz unten. Andreas Raelert hat infrage gestellt, was er da tut, nie aber seine Motivation verloren, weiterzumachen. Warum und ob das immer gut ist? Ein Erklärungsversuch. Titelbild: Marcel Hilger

Man könnte Andreas Raelert leicht übersehen. Er ist niemand, der sich in den Mittelpunkt drängt. Er macht keine markigen Sprüche und interessiert sich so wenig für Social Media, dass er seinen Bruder Sven, der zuständig ist für sein Marketing und das seines zweiten Bruders Michael, den Raelert-Brothers, damit manchmal fast in den Wahnsinn treibt. Man könnte ihn übersehen. Aber man tut es nicht. Zumindest dann nicht, wenn man sich in den vergangenen 20 Jahren für Triathlon interessiert und nicht unter einem Stein gelebt hat.

Andreas Raelert ist einer der erfolgreichsten Triathleten des Landes – auch wenn man durch den Telefonhörer förmlich spürt, wie er rot wird, wenn man ihm das sagt. Er war zweimal bei den Olympischen Spielen, erkämpfte sich mehrfach bei der Ironman-WM einen Treppchenplatz, war Europameister auf der Lang- und Mitteldistanz und stellte 2011 in Roth eine Weltbestzeit auf der Langdistanz auf, die fünf Jahre lang Bestand hatte.

Motivation als unbedingtes Wollen

Dann kam das Jahr 2013, und das erste DNF seiner Karriere. Es folgten Verletzungen, Rennabbrüche, eine Achillessehnenoperation. Trotzdem macht Andreas weiter. Jahr um Jahr, auch wenn er betont, dass 2021 sein letztes als Profi sein wird. Woher nimmt man die Motivation, weiterzumachen, wenn nicht mehr geht, was früher ging, und man eigentlich doch ohnehin bereits alles erreicht hat?

„Ich habe schon als junger Kerl gelernt, zielorientiert zu arbeiten und dran zu bleiben“, versucht er eine Erklärung. Und, ja, als Teenager sportlich und schulisch Leistung zu bringen, auch, weil die Eltern sagen, dass das eine nur mit dem anderen geht, lehrt Disziplin. Disziplin jedoch ist „müssen“, Motivation ist „wollen“. Und dass Andreas Raelert will, unbedingt will, ist spätestens klar, seit er sich mit gerissenem Muskelbündel durch den Marathon beim Ironman Austria biss und das Rennen gewann.

Dennoch scheint es weder der Kick des Siegens noch der Reiz des Podiums zu sein, die ihn immer weitermachen lassen. Zumindest nicht hauptsächlich. Wäre dem so, wäre der 44-Jährige inzwischen vermutlich kein Triathlonprofi mehr. Er aber sagt, kurz nachdem er 2019 beim Ironman Lanzarote nach 160 Radkilometern mit Magenkrämpfen wieder einmal aussteigen musste: „Ich glaube fest, dass ich auf dem richtigen Weg bin und freue mich auf die anstehenden Aufgaben.“

Motivation ohne Lohn und Strafe

Ein Psychologe würde hier vermutlich auf eine hohe intrinsische Motivation tippen. Das ist die Art Motivation, die einen um der Handlung Willen handeln lässt, die ohne Belohnung oder Bestrafung auskommt. „Passion“ ist auch das Erste, das Andreas Raelert einfällt, wenn man ihn danach fragt, warum er noch immer Triathlon auf Profiniveau betreibt.

Viel gelernt habe er in den Jahren seiner sportlichen Karriere, sagt er. Zum Beispiel, das Positive zu sehen wie ein selbstbestimmtes Leben und ein Umfeld, das ihn unterstützt. Aber auch, sich schnell von Negativem zu lösen. Sei es früher, als eine Podiumsplatzierung Fans und Medien nicht mehr genügte und sie ihm „fehlenden Killerinstinkt“ und „zu wenig Risikobereitschaft“ vorwarfen. Oder sei es jetzt, wenn der Körper ein weiteres Mal der Motivation einen Strich durch die Rechnung macht. „Wenn man zu den Besten gehören will, muss man sich der Öffentlichkeit stellen“, weiß er.

Und das tut er auch – als der Andreas Raelert, den die Öffentlichkeit kennt und liebt: Der Gentleman, der auf Hawaii 2010 nach einigen Marathonkilometern Schulter an Schulter Chris McCormack noch die Hand schüttelt, bevor der davonzieht. Der faire Sportsmann, der Craig Alexander 2011 dessen Verpflegungsbeutel mitbringt, den er versehentlich an der Aid Station ausgehändigt bekommen hat. Der Aufmerksame, der 2015 mit Sebastian Kienle noch eine Wasserflasche teilt, obwohl er gerade auf dem Überraschungsdurchmarsch zum zweiten Platz ist. All das ist authentisch. All das ist Andreas Raelert.

Motivation als Freund und Feind

Aber da ist noch der Teil seiner Persönlichkeit, der nicht vor die Mikrofone und Kameras tritt. Die Stimme im Kopf, die sich auch bei einem Andreas Raelert meldet, wenn die Dinge nicht so laufen wie geplant. Zum Beispiel 2014, als er einen großen Teil des Hawaii-Marathons wanderte: „Das war mein schwärzester Moment“, erzählt er rückblickend. „Ich war mental nicht vorbereitet, es gab private Herausforderungen im Vorfeld und entsprechend emotional war das Rennen. Ich habe mich verflucht dafür, was für ein Egoist ich bin, hier anzutreten.“ Auf diesen endlosen Kilometern hat er viel über die Bedeutung des Sports für sich nachgedacht – und das tut er auch heute noch.

Die Motivation ist nach wie vor da, „die Trainingsergebnisse gehen in die richtige Richtung, es gibt eine Perspektive für mich“, sagt er. Es ist genau diese Motivation, der er seine Erfolge verdankt. Es ist aber auch genau die Motivation, die ihn viel gekostet hat, die ihn hat „Raubbau betreiben“ lassen an seinem Körper. Denn manchmal zog er einen Wettkampf nicht um des Wettkampfs Willen durch, sondern weil die Alternative, das Aufhören, viel schlimmer gewesen wäre. Weil er wusste, dass die kurze Erleichterung, dem Leiden auf der Strecke ein vorzeitiges Ende zu setzen, abgelöst würde durch „eine Unzufriedenheit, die größer ist als je zuvor“.

Motivation für den Traum B

Das ist die Motivation, die mit Belohnung und Bestrafung arbeitet. Die Motivation, die sogar jemanden, der so erfahren und so diszipliniert ist wie Andreas Raelert, Dinge tun lässt, die er heute als Fehler bezeichnet. Wenn auch als Fehler, die ihn zu dem gemacht haben, was er heute ist – und das ist jemand, der sich mit der Tatsache versöhnt hat, dass sein Körper einfach nicht mehr so viel Belastung verträgt, nicht mehr so viele „tote Kilometer“ wegsteckt, wie früher. Jemand, dem klar ist, dass der große Traum vom gemeinsamen Hawaii-Sieg mit seinem Bruder Michael sehr wahrscheinlich nicht mehr in Erfüllung gehen wird. Dass es ein Bonus sein wird, wenn „ich mich überhaupt nochmal für Hawaii qualifiziere“.

Stattdessen möchte Andreas Raelert seine Motivation in diesem, seinem letzten, Profijahr noch einmal nutzen, um (wenn die Rennen stattfinden) offene Rechnungen zu begleichen: „Die Finisher-Shirts vom nicht beendeten Rennen auf Lanzarote und dem Ironman Hamburg möchte ich schon noch holen.“ Vor allem aber möchte er, dass sich die Entbehrungen der letzten Jahre noch einmal auszahlen. Dass er noch einmal konkurrenzfähig sein darf. Vor allem aber, dass er seinen beiden Kindern zeigen kann, dass „der Papa mit Freude Sport macht.“ Das wäre ein versöhnlicher Abschluss für ihn. Sein Traum B.

  • Letzter Saisonstart beim Triathlon Buschhütten

  • Die letzte Saison von Andreas Raelert soll am 9. Mai 2021 beim Triathlon-Klassiker in Buschhütten starten. Gemeinsam mit seinem Bruder Michael hat er die Erfolgsgeschichte des EJOT Teams lange Zeit mit geprägt, nun gehen die beiden gemeinsam an den Start im Siegerland. Alle Informationen zu dem Wettkampf findet ihr hier: Website des EJOT Triathlon Buschhütten

 

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6 Kommentare

  1. Es gibt für mich keinen motivierenderen Menschen als Andreas Raelert, kein Star dieser Szene hat diese Charisma und ist so bodenständig ohne jemals in Hawaii ganz oben gestanden zu haben. Lieber Andreas, solltest du das lesen, DANKE für jeden Moment den ich mit Dir gefeiert oder gelitten habe.

  2. Deshalb wäre er sogar noch die bessere Besetzung für den Trainerposten bei der DTU. Auch Daniel Unger ist top, aber der Erfahrungsschatz von Andi Raelert, gerade der Biss und die Frustrationstoleranz ist noch etwas höher bei ihm.

  3. Toller Artikel, der den Menschen hinter dem Top-Athleten Andreas Raelert zeichnet.

  4. Andreas Raelert zählt zu den ganz Großen des Triathlonsports. Ein beindruckender Mensch und ein Athlet wie aus dem Bilderbuch. Ich hatte die Ehre Andreas Raelert beim Ironman Regensburg 2011 auf der Laufstrecke persönlich kennen zu lernen. Er musste das Rennen für die Hawaii Quali nur finishen und hat sich die Zeit genommen mit uns Ak Athleten zu fachsimpeln und zu quatschen wie einer von uns.

  5. Irgendwie rührend, irgendwie traurig. Er hat einfach nicht den Absprung geschafft. Seit ich Triathlon verfolge, war es immer so: „ach der Raelert startet, mal sehen, was heute zum dnf führt.“ Ich hoffe, dass er endlich Frieden schließen kann mit sich und seiner Karriere. Wirklich sympathischer Mensch, keine Frage. Und Hochachtung vor seiner Leistung früher! Ich wünsche ihn alles Gute und ein tolles letztes Jahr!

  6. Für mich ist Andreas nicht nur ein großartiger Sportler sondern auch ein großartiger Mensch der mit Sicherheit für viele ein Vorbild ist.
    Markus dein Kommentar ist beleidigend und unqualifiziert, was bist du für ein Mensch!