Training in und nach der Schwangerschaft: 5 Fragen und Antworten rund um den Beckenboden
29. Dezember 2025

Mythen, Pauschalitäten, unangenehme Spätfolgen: Wenn es um den Beckenboden geht, stolpern werdende und frisch gebackene Mamas über all das. Das kann gerade sportlich aktive Mamas verunsichern, verwirren, aber auch überraschen. Zeit für ein paar Fragen an Expertin Ana Hermannsdörfer, die in der aktuellen Podcastfolge von DANIhoch3 zu Gast ist. Was sollten Athletinnen (und Athleten!) denn nun wirklich über ihn wissen, den immer noch viel zu selten thematisierten Beckenboden?
Jede Schwangerschaft ist anders und selbst bei der dritten kann man noch einiges über den eigenen Körper lernen – diese Erfahrung machte jedenfalls Profitriathletin Daniela Bleymehl. Im August wurde die sechsfache Langdistanz-Siegerin zum dritten Mal Mama. So weit, so schön.
Besonders war während und nach dieser Schwangerschaft aber nicht zuletzt ihr Blick auf das Thema Beckenboden – und genau deswegen lag es der 37-Jährigen am Herzen, in der nunmehr vierten Folge ihres Podcasts DANIhoch3 genau darüber zu sprechen. Dafür holte sie sich gemeinsam mit Club-Coach Nils Goerke zwei absolute Profis ans Mikro: Ana und Tobias Hermannsdörfer.
Die aktuelle Episode von DANIhoch3 könnt ihr hier (auf Spotify, bei Apple Podcasts, auf Amazon Music) hören:
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Gesagt, getan: Gemeinsam nahm das Quartett eine umfangreiche Podcastfolge auf. Aber … das Thema war und ist damit noch lange nicht auserzählt. Denn wenn es um den Beckenboden geht, halten sich Mythen und Unwahrheiten so hartnäckig, dass wir bei der Gelegenheit noch einmal ganz genau bei Expertin Ana nachgehakt haben. Gemeinsam mit Dani haben wir Ana und Toby nämlich in ihrer Praxis, dem Therapieloft Fichtelgebirge besucht – und dabei an neuem Content speziell zum Thema Wiedereinstieg für den Pushing Limits Club gearbeitet. Stay tuned!
Bis dahin gibt’s hier schon mal Experten-Infos aus erster Hand, die endlich Schluss mit so manchem Mythos bei dem Thema machen …
FAQ #1: Beckenboden-Wissen für alle (ja, auch für euch, Männer!)
Was passiert mit dem Beckenboden während der Schwangerschaft? Und warum ist es so wichtig, dass frisch gebackene Mamas – vor allem auch sportliche aktive – ihm mehr Aufmerksamkeit schenken?
Ana Hermannsdörfer: Der Beckenboden ist die Mitte des Körpers und an sehr vielen wichtigen Aktionen beteiligt – im Alltag und im Sport. Oft merken Frauen aber erst, wenn was nicht mehr funktioniert, wie wichtig diese verborgene Struktur eigentlich ist. Und spätestens, wenn sie Mama werden, rückt das Thema dann in den Fokus – bestenfalls. Einerseits, weil die Belastungen mit den Monaten stark ansteigen. Das Volumen des Bauches nimmt zu und auch die Statik verändert sich. Deswegen ist es sehr sinnvoll, spätestens in der Schwangerschaft mit einem guten Beckenboden-Training zu starten!
Fakt ist aber auch: Sämtliche Studien widersprechen mittlerweile der persönlichen, mitunter veralteten Meinung von noch zu vielen Gyns, dass man auf keinen Fall den Beckenboden trainieren sollte, weil er sonst „zu fest“ für die Geburt wird. Inzwischen ist gut belegt: Wenn er richtig trainiert wird, können Frauen ihn viel besser für die Geburt entspannen – und in der Rückbildung erholt er sich leichter. Gerade deswegen ist gute Aufklärung so wichtig. Vor allem für Mamas, die gern wieder sportlich aktiv werden wollen und die es gewöhnt sind, ihre Muskulatur zu pushen.
Andererseits geht es beim Beckenboden aber nicht nur um Muckis. Er hat auch einen beachtlichen Bindegewebsanteil: Dieser ist sehr individuell, variiert in der Regel aber zwischen 30 und 40 Prozent. In der Schwangerschaft lockert er sich, hormonell bedingt (Relaxin), um den Geburtskanal vorzubereiten. Der Levator Ani kann sich bis auf das 3,8-fache dehnen dann, während jeder andere Skelettmuskel ab der 1,5-fachen Dehnung verletzt werden kann. Das ist für werdende Mamas dann mit neuen körperlichen Herausforderungen verbunden.

FAQ #2: Beckenboden-Wissen für sportliche aktive Mamas
Mit welchen Fragen stehen vor allem Sportlerinnen bei dir auf der Matte? Was sind diese besagten Herausforderungen, aber auch die Risiken?
Ana Hermannsdörfer: Sportlerinnen haben häufig ein Thema mit einem zu verspannten Beckenboden, was dann zu Inkontinenz bei High Impact Sportarten führen kann. Und auch zu Schmerzen im Becken- und Steißbeinbereich, Entleerungsstörungen und zu Problemen in der Sexualität. Verspannte Beckenböden tun sich außerdem auch bei der Geburt oft schwerer, wirklich ins Loslassen und Öffnen zu kommen.
Risiken sind beispielsweise, dass trotz oft hohen Belastungen die Trainingsbedürfnisse des Beckenbodens nicht mitgedacht werden – und der sehr lange kompensiert. Wenn er dann Probleme macht, wird aber oft gar nicht erkannt, dass es an ihm liegt.
Auch das „Athletes Brain“, also dass mentale Entspannung oft nur mit sportlicher Aktivität gelingt, kann gerade bei frischgebackenen Mamas zu einem ernsten Dilemma führen: Sie wollen Gas geben, aber ihr Gewebe hat nun mal Belastungsgrenzen in dieser sehr speziellen Zeit. Gerade was Organsenkungen angeht, ist das riskant.
FAQ #3: Beckenboden-Ultraschall – das gibt’s?
Ich bin selbst Mama, habe aber wirklich noch NIE davon gehört, dass man die Beckenbodenmuskulatur sogar mit Ultraschall untersuchen kann. Daher: Klär gerne mal auf, wie läuft so eine Untersuchung genau ab?
Ana Hermannsdörfer: Wichtig zunächst: Die Untersuchung ist kein diagnostischer Ultraschall, das machen nur Ärztinnen. Vielmehr ist es ein visuelles Feedback, das die verborgene Funktion in Echtzeit zeigt. Über die Bauchdecke kann tatsächlich geschallt werden, um beispielsweise die Bauchmuskulatur (Stichwort: Rektusdiastase) darzustellen, die mit dem Beckenboden und der Atmung zusammenarbeitet. Auch das Volumen der Blase kann dargestellt werden.
Über den Damm kann man außerdem gut sehen, ob die Hebeaktivität des Beckenbodens sowie seine Stabilisierung der Organe gut und zeitgerecht funktioniert – oder ob es etwa beim Husten zu einem Schub nach unten auf Blase, Harnröhre oder Gebärmutter sowie Enddarm kommt. Wichtig ist dafür aber: Die Funktions-Untersuchungen müssen unter Schwerkrafteinfluss (im Stand) ausgeführt werden, denn das sagt natürlich mehr über den Alltag aus.

FAQ #4: Status Quo: Was die Forschung über den Beckenboden weiß
Natürlich hat das Thema in den vergangenen Jahren stetig mehr Aufmerksamkeit bekommen, aber dennoch kursieren viele Mythen, Irrglauben, Unwahrheiten. Was würdest du dir aus Expertinnensicht mehr seitens der Wissenschaft wünschen?
Ana Hermannsdörfer: Ich freue mich, dass die Wissenschaft in den letzten fünf bis zehn Jahren wirklich mehr den funktionellen Blick auf die Thematik wirft – und sehr wertvolle Einsichten geliefert hat bezüglich des Trainings in und nach der Schwangerschaft, aber auch zu Themen wie der Rektusdiastase. Nur leider dauert es viel zu lang, bis dieses Wissen auch überall ankommt …
Immer noch gibt es einerseits zu viel blinde Angstmacherei und vermeintliche „Regeln“ wie „Kein Sport in der Schangerschaft!“, „Kein Bauchmuskeltraining in der Rückbildung!“ – und andererseits gibt es dazu zu viel Sorglosigkeit und Oberflächlichkeit, wie zum Beispiel die volle Sportfreigabe, bloß weil keine Verletzung bei der Gyn-Untersuchung festgestellt wird. Auch kommt hinzu, dass die Industrie daran verdienen will und Quickfixes durch Geräteverkauf, Vaginalgewichte und so weiter verspricht, aber so manchmal mehr Schaden entsteht. Oft wird damit nicht das richtige Problem adressiert, dennoch wird alles unter dem Oberbegriff Becklenbodentraining verkauft. Besser wäre doch ein individueller Befund und die Frage „Brauche ICH mehr Entspannung, bessere Reflextätigkeit, Koordination für Timing oder Kraftausdauer?“.
Ich würde mir wünschen, dass vor allem die Multiplikator:innen wie Fachärzt:innen, Hebammen, Physios, Trainer:innen sich fortbilden, um zumindest die Wichtigkeit dieses Themas zu erkennen und dann gegebenenfalls aktiv an Fachpersonen weitervermitteln zu können.
FAQ #5: Wiedereinstieg ins Training nach der Schwangerschaft
Wie gehen Mamas denn nun bestenfalls an den sportlichen Neustart ran?
Ana Hermannsdörfer: Das Prinzip sollte lauten: Erst wissen, dann wahrnehmen – und dann individuell dosiert und qualitativ hochwertig, strukturiert trainieren. Und das Ganze sollte individuell abgestimmt sein. Denn: Pauschale Aussagen helfen niemandem. „Nach sechs Monaten ist das Joggen wieder erlaubt!“ ist unabhängig vom Zustand des Körpers letztlich keine valide Aussage!
Heißt in der Umsetzung: Es sollte darum gehen, erstens zu wissen, wo und wie der Beckenboden arbeitet, ihn zweitens spüren zu lernen, um seine Signale zu erkennen, und dann erst drittens Übungen kennenzulernen, um darauf angemessen reagieren zu können – das wünsche ich mir für alle, die wiedereinstiegen wollen.
Wer es konkreter angehen mag: Die Mobilisation der Partner des Beckenbodens, also allen voran der Hüften, Lendenwirbelsäule und Brustwirbelsäule, sowie gute, koordinierte Fein-Zusammenarbeit der Bauchkapsel, also der Bauchmuskeln, Rückenmuskeln, Zwerchfell und des Beckenbodens, eine gezielte Atmung und die sanfte Ansteuerung des Beckenbodens sind eine sehr gute Basis.
Wichtig: Wochenbett ist Hauptarbeit im Inneren des Körpers. Das heißt, hier sollte nur sehr sanft wenig körperliche Aktivität vorherrschen. Gerne darf viel das Becken entlastet werden, da das Stützgewebe der Organe im Inneren noch sehr gedehnt und der Beckenboden noch sehr weich ist.
Merke, wie gesagt: Es geht um Bindegewebe, nicht nur um Muskeln. Rückbildungszeit ist keine Leistungszeit! Stattdessen sollte der Fokus auf Reha, Heilung, Zusammenfinden, Neuorganisation liegen. Da muss individuell geschaut werden, wie es der Mama wirklich geht. Wie läuft’s beim Thema Schlaf, Verarbeitung der Geburt, emotionale Belastung oder gute Begleitung, das soziale Umfeld als Ressource oder Anforderung, Ernährung, Stillen …? All das hat ja großen Einfluss auf den Beckenboden über das Nervensystem. Und all das sind somit fast noch wichtigere Faktoren, als „die eine perfekte Übung“ für den Wiedereinstieg zu praktizieren.
Insta & Link-Tipps von Ana
Du möchtest mehr zum Thema Beckenboden-Training erfahren? Dann check‘ mal die folgenden Profile, die uns Ana empfohlen hat.
- Gina von @momforces: Bietet bereits ab Wochenbett und Rückbildung für sportlich aktive Mamas Infos und Tipps an > Hier geht’s zum Profil
- Jessi von @seasonofstrength: Arbeit mit modernstem Beckenboden-Training für „alle“ Frauen, Schwangerschaftskurs mit Beckenboden im Fokus und Rückbildungskurs nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen > Hier geht’s zum Profil
- Iris Lehner von @irislehnertraining: Kompetenter Trainingsprofi für Athletinnen prä- und postnatal > Hier geht’s zum Profil
- Dani von @kaisereschnittnarbe.physio: Gilt als Narbenprofi > Hier geht’s zum Profil
- Außerdem findet ihr hier eine hilfreiche Therapeutenliste
- Trainingspläne, Rezepte, Analysen: Komm in den Club!Anzeige
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