Die Prognose zu den deutschen Hawaii Profis – von Thorsten Radde
24. September 2019
Ein Gastbeitrag von Thorsten Radde: Die deutschen Profi-Triathleten sind dieses Jahr mit so vielen Athleten wie schon lange nicht in Kona vertreten: 19 Damen und Herren haben die Qualifikation geschafft – mehr waren es nur 2007 (22) und 2009 (26), als das Profi-Feld auf Big Island noch deutlich größer war (134 bzw. 148 Athleten, im Vergleich zu knapp 100 in diesem Jahr).
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Wer sind diese Profis und mit welchen Chancen treten sie die lange Reise an? Um einen besseren Überblick zu bekommen, sortiere ich die Starter in drei Kategorien:
Sieg oder Podium
Athleten in dieser Kategorie schielen auf die Plätze ganz vorne – und sind sich bewusst, dass man dafür einen guten Tag erwischen und einige Risiken eingehen muss.
Top 10
Eine Platzierung in den „Kona Top 10“ bringt Preisgeld und auch eine entsprechende Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und bei Sponsoren. Für viele Athleten ist dies auch ein gutes „Zwischenziel“ auf dem Weg ganz nach vorne.
„Mal sehen, was geht“
Bei dieser Kategorie ist es schwer, eine genaue Erwartungshaltung zu formulieren. Hierzu zählen insbesondere die Kona-Rookies, bei denen man nie so genau weiß, wie sie mit den besonderen klimatischen und taktischen Anforderungen klarkommen. Auch diese Athleten fliegen nicht zum Urlaub nach Kona, aber ein Traum-Ergebnis ist eher unwahrscheinlich oder ziemlich unsicher.
Hier eine grobe Sortierung der deutschen Starter basierend auf ihrem bisherigem Saisonverlauf, ihren Leistungen in Kona und den Ergebnissen bei anderen Rennen über die Ironman-Distanz:
Kategorie | Damen | Herren |
---|---|---|
Sieg oder Podium | Anne Haug | Jan Frodeno, Sebastian Kienle, Patrick Lange |
Top 10 | Daniela Bleymehl, Mareen Hufe | Andi Boecherer, Maurice Clavel, Andreas Dreitz, Nils Frommhold, Boris Stein |
Mal sehen, was geht | Kristin Liepold, Laura Philipp, Svenja Thoes | Tobias Drachler, Marc Duelsen, Lukas Kraemer, Franz Loeschke, Stefan Schuhmacher |
- Über Thorsten:
Auf seiner Plattform trirating.com erstellt Thorsten ein allzeit aktuelles Ranking der Langdistanz-Profis, auf dessen Basis er Prognosen für zukünftige Rennen berechnet. Außerdem ist er DER Experte, wenn es um das Thema Kona-Qualifikation geht. Sein immens umfangreicher Kona-Report ist eine absolute Pflichtlektüre für jeden, der genau wissen will, auf wen man jedes Jahr bei der WM ein besonderes Auge haben sollte! Der Report kann auf seiner Webseite bereits vorbestellt werden.
Sieg oder Podium
Anne Haug gelang im letzten Jahr ein grandioses Kona-Debüt: Nach solidem Schwimmen und Radfahren konnte sie den schnellsten Marathon laufen und sich auf den dritten Platz nach vorne arbeiten. Nach der verletzungsbedingten Absage von Frankfurt wollte sie in Kopenhagen eigentlich „nur“ ihren Slot validieren und notfalls mit Gehpausen den Marathon bewältigen. Stattdessen gab’s neue Streckenrekorde beim Rad und Laufen und eine neue deutsche Bestmarke. Kann sie dieses Jahr vielleicht sogar die ganz großen Namen in Kona angreifen oder wird sie Probleme mit dem Erwartungsdruck bekommen? Letztes Jahr brauchte sie auf dem Rad lange Zeit einfach nur mitfahren, dieses Jahr erwarte ich sehr viel mehr „Rad-Action“ im Frauenfeld.
Mit Sebastian Kienle, Jan Frodeno und Patrick Lange stellen die deutschen Profi-Herren die Kona Sieger der letzten fünf Jahre. Eine längere Nationenserie hat nur die USA aus der Anfangszeit des Ironman Hawaii. Natürlich zählen die Drei auch in diesem Jahr zu den heißen Anwärtern auf die Kona-Krone.
Jan Frodeno gewann das erste diesjährige Duell der Drei in Frankfurt und ist auch sonst seit Kona 2017 ungeschlagen. Als starker Schwimmer ist er von Anfang an vorne mit dabei und kann es sich bei seinem starken Marathon sogar einen kleinen Rückstand in der zweiten Wechselzone leisten. Wie schnell kann er in Kona wirklich laufen, wenn er unter Druck gesetzt wird und alles geben muss?
Sebastian Kienle hatte über den Winter mit Achillessehnen-Problemen zu kämpfen und musste nach seinem DNF in Kona 2018 eine lange Laufpause einlegen. Seine starken Ergebnisse in dieser Saison (gerade auf der Laufstrecke) zeigen, dass man ihn nach wie vor ernst nehmen muss – auch wenn sein Kona Sieg schon fünf Jahre zurückliegt und bislang kein Kona-Sieger eine solch lange „Pause“ zwischen zwei Erfolgen hatte. Er wird sicher versuchen, mit den anderen starken Radfahrern Druck auf die Konkurrenz auszuüben und dann seine hart erarbeitete Laufstärke auszuspielen, die er auch bei der 70.3 WM zeigen konnte.
Und Patrick Lange? Den hatte man auch letztes Jahr nach seinem dritten Platz in Frankfurt schon fast abgeschrieben – bis er dann der erste Athlet in Kona mit einer Zeit unter acht Stunden wurde. Man kann also seinen 11. Platz dieses Jahr in Frankfurt (nach Plattfuß und anderen Problemen) und sein enttäuschendes Abschneiden in Nizza (Platz 23 bei den 70.3 Championships) nicht als Maßstab für seine Kona-Chancen nehmen. Zunächst muss er es wieder schaffen, in der Vorbereitung in Texas den Schalter umzulegen. Wenn er es dann wieder schafft, den Rückstand nach dem Radfahren in Grenzen zu halten, kann ihn ein weiterer guter Hitze-Marathon auch ganz nach vorne bringen.
Top 10
Bei der Leistungsdichte in Kona ist eine Voraussage, wer in den Top 10 landen wird, fast unmöglich. Ein Blick auf die Tabelle oben macht das klar: Mit den drei Sieganwärtern und den fünf Top10-Kandidaten wären schon acht der zehn ersten Plätze bei den Männern an deutsche Athleten vergeben. Aber auch aus den anderen Nationen gibt es (mindestens) fünfzehn weitere Anwärter – da werden also sicherlich ein paar Athleten mit einer Enttäuschung nach Hause fahren müssen.
Mit Nils Frommhold und Boris Stein sind zwei Athleten dabei, die schon in den Kona Top 10 waren (Nils war sechster in 2014, Boris siebter in 2016 und zweimal zehnter), mit Verletzungsproblemen zu kämpfen hatten, dieses Jahr aber schon gute Ergebnisse gezeigt haben: Nils als zweiter in Südafrika, Boris als Sieger des IM Kalmar mit neuem Streckenrekord. Auch Andi Boecherer war schon vorne in Kona dabei, sein bestes Ergebnis ist ein fünfter Platz in 2016. Nach der frühen Qualifikation im Herbst 2018 mit dem Sieg in Italien war der Langdistanz-Sommer mit einem nicht zufriedenstellenen Finish nach 9:35 Stunden in Roth nicht nach seinen Vorstellungen. Andi Dreitz und Maurice Clavel waren letztes Jahr das erste Mal in Kona und zeigten starke Leistungen auf dem Rad, rutschten dann aber beim Laufen auf die Plätze 13 bzw. 19 zurück. Dieser Blick zurück zeigt auch, was für eine Top 10 Platzierung erforderlich sein wird: Man muss auf dem Rad zumindest in der zweiten Gruppe mitfahren oder sich vielleicht sogar nach vorne absetzen, dann aber dann immer noch genug Körner für einen gleichmäßig starken Marathon klar unter drei Stunden haben.
Bei beiden deutschen Damen, die auf die Top 10 schauen, sieht es ähnlich aus: Daniela Bleymehl und Mareen Hufe gehören zu den stärksten Radfahrern im Damen-Feld und werden sicherlich hart arbeiten, um in einer guten Position auf die Laufstrecke zu gehen. Danni hat keine guten Erinnerungen an Kona – 2016 brachte sie das Rennen nur unter starken Schmerzen auf Platz 36 ins Ziel. Mit ihren starken Rennen der letzten drei Jahre (u.a. Sieg in Hamburg 2017, Siege 2018 in Italien und in Roth mit neuem deutschem Rekord, Platz 3 in Roth 2019) hat sie gezeigt, dass dieses Jahr in Kona deutlich mehr für sie drin ist. Mareen war 2017 in Kona die beste Deutsche, sie hat die letzten beiden Jahre mit Platz 11 und Platz 13 die Top 10 nur knapp verpasst. Nach zwei Ironman-Siegen in 2018 (Österreich und Malaysia) will sie auch in Kona ein Ausrufezeichen setzen. Beide müssen für ein Top10-Ergebnis aber auch eine starke Laufleistung zeigen, letztes Jahr benötigte man bei den Damen zumindest einen 3:07er Marathon.
Mal sehen, was geht
Innerhalb dieser Gruppe gibt es sicherlich unterschiedliche Zielsetzungen und Erwartungen an Kona 2019. Laura Philipp und Franz Loeschke sind das erste Mal in Kona, werden aber sicherlich gleich mit Blick auf die Top 10 ins Rennen gehen. Bei beiden wird der Schwerpunkt darauf liegen, die Rennen in Kona aus erster Hand zu erleben. Aber wenn sie wertvolle Erfahrungen für die nächsten Jahre mitnehmen wollen, dann muss man sich eben auch vorne positionieren. Daraus kann dann auch ein sehr gutes Ergebnis entstehen, wie Jan, Patrick und Anne vorgemacht haben, die alle bei ihrem Kona-Debüt Platz drei belegt haben.
Etwas bescheidener werden die Erwartungen der anderen deutschen Starter sein. Svenja Thoes hat zwar ihren ersten Ironman in Cozumel mit einer Zeit unter 9 Stunden gewonnen, die Einordnung fällt aber schwer, zumal ihr zweiter Ironman-Start in Wisconsin in einem DNF auf der Laufstrecke endete. Kristin Liepold ist seit der Geburt von Tochter Mira noch schneller geworden: Ihre IM-Marathons hat sie diese Saison in 2:55, 2:54 und 2:53 bestritten. Aber ihr Rückstand nach dem Schwimmen und Radfahren ist meist zu groß, zumindest um in einem gut besetzten Feld wie Kona noch eine Rolle spielen zu können.
Bei Stefan Schuhmacher fällt es mir schwer, ein kurzes, aber differenziertes Bild zu zeichnen. Auf der einen Seite ist seine Kona-Quali durch einen sechsten Platz im Dezember-Rennen in Mar del Plata, auf der anderen Seite sein Umgang mit leistungsfördernden Mitteln und eine zweijährige Doping-Sperre aufgrund nachgewiesenem EPO-Dopings.
Marc Duelsen, Tobias Drachler und Lukas Kraemer kommen sicherlich für mehr als für einen schönen Urlaub nach Kona. Marc wird mit dem Ziel anreisen, seinen 18. Platz aus 2017 zu verbessern – und auch um die Erinnerung an sein frustrierendes Rennen 2018 auslöschen, als er nach 60 km mit Magenproblemen vom Rad steigen musste. Die Nordamerikaner werden ihn bestimmt im Auge haben – schließlich hat er sein Kona Ticket in Lake Placid gelöst. Lukas kennt das Rennen bereits als Agegrouper, er hat 2014 die AG M30 gewonnen. Tobias hat mit seinem starken vierten Platz in Frankfurt gezeigt, dass er sich durchaus in heißen Rennen mit starken Feldern zu behaupten weiß.
Rest des Feldes
Dieser Gastbeitrag hat sich auf die deutschen Profi-Starter in Kona konzentriert – aber natürlich gibt es auch viele interessante internationale Starter, die einen großen Einfluss auf den Ausgang des Rennens nehmen werden. Wenn Ihr mehr über das ganze Feld wissen wollt, dann ladet doch meinen „Kona 2019 Rating Report“ herunter.
Auf über 100 Seiten findet Ihr darin alle Informationen rund um den Ironman Hawaii und zu den Startern im Profi-Rennen. Der Report ist kostenlos, aber ich freue mich über jede Spende, mit der Ihr auch meine Arbeit während der ganzen Saison unterstützen könnt.
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Interessante Übersicht. Danke!
Allerdings stimmt die Aussage von Andi Böcherer bzgl. eines DNF in Roth nicht. Ein Finish in 9:35 ist sicherlich weit von seiner Normalleistung entfernt, aber es ist trotzdem ein Finish.
Spannender Beitrag Thorsten. Ich freu mich auch schon auf nächste Woche Samstag. Deinen Report empfehle ich aktuell jedem, der nicht bei drei auf den Bäumen ist.
Hast du Pläne zusätzliche Datenquellen oder Kennzahlen in deine Auswertungen einzubinden?
Ich fänds außerdem geil, wenn der Vorkommentator nächstes Jahr selber in Thorstens Beitrag auftaucht! 🙂
Meine Top 10 Anwärter sehen anders aus.
Bei den Damen Bleymehl und Phillip. Hufe hat nicht den Speed, was man auch beim IM Italien vor 2-3 Wochen sehen konnte.
Bei den Herren sehe ich hier Dreitz, Stein und Löschke mit guten Chancen. Sowohl Frommhold als auch Böcherer und Clavel haben leider über die Saison gesehen nicht gut performt. Da waren zu viele Ausreißer nach unten als sie bei dem starken Teilnehmerfeld in den Top 10 zu erwarten.