Druck im Triathlon: Warum er entsteht und wie du damit umgehst
11. November 2021
Im Triathlon gibt es jede Menge Potenzial, sich unter Druck zu setzen. Ob die Auslöser bei Profis und Hobbysportlern die gleichen sind, wie sich mit Druck umgehen lässt und ob er immer schlecht ist – diesen Fragen sind wir mit Athleten und Experten nachgegangen.
Druck hat viele Facetten. Da gibt es zunächst den physischen Druck, der zum Beispiel dann zu spüren ist, wenn man einen Finger auf den Unterarm presst. Zu den psychischen Formen gehört der soziale Druck, der entsteht, wenn andere Personen versuchen, einen Menschen zu bestimmten Verhaltensweisen zu zwingen, die sie als „angemessen“ betrachten. Und dann ist da noch der Leistungsdruck.
Der kann in verschiedenen Lebensbereichen entstehen und dürfte vielen Triathletinnen und Triathleten bekannt sein. Sei es in Form des belastenden Gefühls, nicht alles unter einen Hut zu bringen. Sei es als Angst, im Wettkampf nicht abzuliefern oder, bei Profitriathleten, als Existenzangst.
Sportpsychologe David Fletcher von der britischen Loughborough-Universität definierte zusammen mit Wissenschaftlerkollegen bereits 2006 in einer Studie drei Stressbereiche, die Ausdauersportler betreffen:
- Competitive: Dieser Bereich bezieht sich auf negative emotionale Reaktionen auf wettbewerbsrelevante Stressoren, zum Beispiel die Angst vor oder die Konfrontation mit Verletzungen.
- Organizational: Hierunter fällt alles, was an Organisatorischem um Training und Wettkampf herum anfällt oder zu berücksichtigen ist, unter anderem der Kontakt zum Coach, die Anreise zum Event, die Abläufe vor Ort usw.
- Personal: Damit sind Lebensstil, finanzielle Situation etc. gemeint.
„Diese Stressbereiche sind nach wie vor noch aktuell“, bestätigt Dr. Heiko Ziemainz, Sportpsychologe am Department Sportwissenschaft und Sport der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Er führt aus: „Je nach Status, z. B. Profisportler vs. Hobbyathlet, ist die Wahrscheinlichkeit des Auftretens beziehungsweise die Gewichtung für den Einzelnen durchaus unterschiedlich. Eine langwierigere Verletzung kann für einen Profi durchaus existenzielle Folgen haben, sodass die subjektive Bewertung der ,Bedrohlichkeit‘ des Ereignisses anders ausfällt als bei einem Hobbysportler, der sich auf einen Volks- oder Sprinttriathlon vorbereitet.“
Die Bewertung einer Situation ist also individuell – und verändert sich unter Umständen auch im Lauf der Zeit. Hatte ein Sportler oder eine Sportlerin beispielsweise die gleiche oder eine ähnliche Verletzung schon einmal, wird selbige besser einschätzbar und es stehen eventuell auch schon Wissen und Werkzeuge zur Verfügung, wie sie sich wieder loswerden lässt. Durch die Fähigkeit, mit einem Ereignis umgehen zu können, wird es als weniger belastend empfunden.
Grundsätzlich sieht Heiko Ziemainz bei Hobbytriathleten das Organisatorisch-Persönliche als größten Stressor. „Die Dreifachbelastung aus Sport, Beruf und Privatleben in Einklang zu bringen, ist oft eine größere Herausforderung als Wettkampf oder Training selbst“, sagt er.
Im Profisport ordnet er das größte Druck-Potenzial den Bereichen Competitive („Kann ich überhaupt vorn mitmischen?“, „Bin ich gut genug?“) und Personal (existenzielle Ängste, häufige Trennungen von der Familie) zu.
Das macht Profis Druck
Profiathlet Boris Stein versucht zwar, die Unbekümmertheit von früher auch heute noch an den Tag zu legen, bemerkt aber durchaus, dass er mittlerweile mehr Druck verspürt, denn: „Ich habe auf die Karte Triathlon gesetzt und zumindest kurzfristig keine Tausend anderen Optionen, die mir offenstehen.“ Da der Zweitplatzierte des Ironman Lanzarote 2021 ein gewisses Maß an Druck aber auch für wichtig hält, um Leistung bringen zu können, baut er im täglichen Training kleine Ziele ein, um den Umgang mit Druck zu üben. Das funktioniert für ihn, solange es nicht um Unplanbares geht, zum Beispiel „Wie reagiert mein Körper im Grenzbereich“. Das lässt sich nicht üben, weshalb es Boris Stein noch immer schwerfällt, damit gelassen umzugehen.
Andreas Dreitz, der Challenge-Roth-Sieger von 2019, verspürt am meisten Druck, wenn er sein Potenzial nicht ausschöpfen und seine Möglichkeiten nicht nutzen kann: „Dann merke ich schnell eine innere Unzufriedenheit und fange an zu hadern“, erzählt er. Ihm hilft es, in schwierigen Zeiten Menschen an seiner Seite zu wissen, die einen im Sturz auffangen würden – Team, Freundin, Freunde oder Trainingspartner.
Vor Kurzem hat Andreas Dreitz zudem begonnen, mit einem Mentaltrainer zusammenzuarbeiten: „Ich bin ein absoluter Wettkampftyp und zu Beginn meiner Laufbahn konnte ich die Leistungs-Messlatte immer höher legen. Da schwebte ich auf Wolken. Jetzt wird die Luft aber dünner und es gibt immer mehr Tage, an denen ich keine Bestwerte mehr aufstelle oder sogar hinter meinen eigenen Vergleichswerten zurückbleibe. Die aktuell noch immer herrschende Planungsunsicherheit und begrenzte Anzahl an Wettkämpfen verstärken die Zweifel und knabbern am Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit. Deshalb möchte ich mit einem Profi arbeiten, um auch im Mentalen mein Maximum herauszuholen“, erklärt er die Entscheidung.
Höhen und Tiefen wird es immer geben. Deshalb sei es wichtig, Möglichkeiten zu kennen, um mit kritischen Ereignissen umzugehen und es zu schaffen, sich entweder aus einem Loch wieder herauszuholen oder gar nicht erst so tief hineinzufallen, bestätigt Heiko Ziemainz.
Die schlechte Nachricht: „Es gibt nicht die eine Megalösung“, schränkt der Erlanger Sportpsychologe ein, hat aber die Erfahrung gemacht, dass „es eigentlich immer hilfreich ist, wenn man sich mit jemandem austauscht, der in der gleichen Situation ist oder war: Was hat der oder die andere versucht, was hat geholfen? Sich zu überlegen, in welcher Relation Aufwand und Nutzen stehen, kann ebenfalls nützlich sein: Was bringt mir mein Sportlerdasein und was muss ich dafür investieren?“
Druck durch sich ändernde Lebenssituation
Diese Rechnung hat Astrid Stienen aufgemacht, als die Siegerin des Ironman Barcelona 2016 ihr erstes Kind bekam. „Ich habe versucht, mir nicht zu viel Druck zu machen und es langsam angehen zu lassen, vor allem, weil mich das Stillen alle zwei Stunden in der Nacht viel an Regeneration gekostet hat und ich nach der Schwangerschaft laxe Bänder und andere körperliche Baustellen hatte. Aber natürlich habe ich schon geschaut, was andere Profifrauen machen – und wenn die schon vier Wochen nach der Geburt wieder laufen, wird man selbst auch etwas unruhig“, räumt sie ein. Ihr hat es geholfen, sich klarzumachen, was sie möchte. „Ich bin bewusst Mutter geworden und mir ist es wichtig, unseren Kindern die bestmöglichen Bedingungen zu bieten“, sagt Astrid Stienen, die auf jeden Fall weiter Triathlon machen möchte und das auch irgendwann wieder ambitioniert. Bis dahin aber ist „es ein ständiger Prozess aus Um- und Neuorientierung.“
Je nach Situation und Athletentyp kann die Familie unterstützend sein, oder als Stressor empfunden werden, zum Beispiel, wenn nicht genug Zeit für die Kinder bleibt, weil der Verdienst des Profiathleten oder der Profiathletin stark zum finanziellen Auskommen der Familie beiträgt – oder weil der Agegrouper am Wochenende mit schlechtem Gewissen seine lange Radausfahrt macht, weil er mit den Kindern schon so lange nicht mehr Fußball gespielt hat oder mit ihnen im Zoo war.
„Auch hier muss abgewogen werden, was einem wie viel wert ist, wie viel Zeit man investieren kann oder möchte und wie kompromissbereit die Familie ist, die Situation für einen bestimmten Zeitraum zu tolerieren“, erklärt Heiko Ziemainz.
Wenn Druck Fehlentscheidungen forciert
Eine Situation, mit der Niclas „Bocki“ Bock nach drei Jahren Spaßsporteln durch das Pushing-Limits-PRO:ject nun konfrontiert ist. Was es heißt, auf Profiniveau zu trainieren, weiß er aus zwei vorangegangenen Triathlonkarrieren. Jetzt tut er das allerdings zum ersten Mal als Unternehmer, Ehemann und Vater.
„Ich habe den Sport damals sehr wichtig genommen, vielleicht zu wichtig. Ich wollte mir selbst und meinem Coach immer was beweisen, sogar im Training. Ich habe den Trainingsplan übererfüllt und immer neue Rekorde aufgestellt. Im Wettkampf habe ich mich überschätzt und unüberlegt gehandelt. Da hat dann gar nichts mehr funktioniert“, erinnert er sich.
Für das PRO:ject verfolgt er nun einen anderen Ansatz, denn er hat für sich festgestellt, dass Anspannung zwar gut, Druck aber ein Leistungshemmer ist: „Für mich ist es wichtig, dass sich alle drei Bereiche in meinem Leben die Waage halten. Ich spüre Stress, wenn etwas aus dem Ruder läuft. Damit das nicht passiert, möchte ich trotz PRO:ject nicht mehr als 22 bis 24 Stunden pro Woche trainieren, solange ich zu Hause bei der Familie bin. Die Hauptblöcke muss ich dann eben so legen, dass ich entweder allein zu Hause bin oder im Trainingscamp. Lieber weniger trainieren, aber einen entspannten Kopf behalten. Dann wird auch die Leistung besser“, glaubt er – und auch, dass es hilft, generell zufrieden mit seinem Leben zu sein: Dann braucht man nicht zwingend sportlichen Erfolg, um sich glücklich zu fühlen und hat außerdem ein dickeres Fell, wenn mal was nicht läuft: „Das ist eher spießig als spektakulär, aber der viel bessere Weg für mich“, ist Niclas überzeugt.
Macht Öffentlichkeit Druck – oder man sich selbst?
Aktuell empfindet Bockis PRO:ject-Teampartner Nick Staggenborg das Training zusätzlich zu Job und Privatleben ebenfalls noch nicht als Belastung: „Noch sind wir im Status mit angenehmem Trainingslevel und -intensität. Spannend wird es, wenn die Umfänge steigen und so viele Leute draufgucken. Da kommt dann bestimmt Druck auf“, glaubt er.
Zwar hatte er bis jetzt noch keine Erfahrung im Training mit einem Triathloncoach, wohl aber mit Druck. Den hat er sich früher gemacht, um sportliche Ziele zu erreichen, aber „nie so sehr, dass es mich belastet hat.“ Druck bedeutet für Nick vielmehr eine Art Pflichtbewusstsein, inklusive schlechtem Gewissen, wenn er doch mal eine Einheit ausfallen lassen musste – „Das war dann schlechter Druck“, sagt er.
Schlechten bzw. leistungshemmenden Druck hat er sich auch zu seiner Schwimmerzeit gemacht: „Ich habe nie reflektiert, wie viel oder wie gut ich trainiert habe. Ich wollte immer Bestzeit. Das war einfach nicht realistisch.“ Heute weiß er, auch durch Gespräche mit Bocki, dass er anders rangehen muss. Denn unter Druck macht man eher Fehler. Ob ihm das gelingt und wie, das weiß er noch nicht. Aber: „Wir möchten auf jeden Fall Mentaltraining mit einem Experten ins PRO:ject einbringen, um solche Fragen zu klären“, kündigt er an.
Eine gute Idee, findet Sportspsychologe Heiko Ziemainz: „Professionelle Unterstützung kann ein probates Mittel sein, um festzustellen, ob ein Ereignis tatsächlich so dramatisch ist, wie es sich momentan darstellt und um auszuloten, welche Möglichkeiten es gibt, damit umzugehen. Oft wird man ganz schnell feststellen, dass man mit seinem Problem nicht allein auf der Welt ist.“ Und dieses Wissen kann schon einen Teil des Drucks nehmen.
- Hör-Tipp
Im Podcast haben Bocki und Mentaltrainerin Tanja Ney bereits über viele psychologische Facetten im Zusammenhang mit Sport gesprochen: hier geht’s zur Episode!
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