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Gleichberechtigung im Triathlon: Sein oder Schein?

29. März 2021


Triathlon Gleichberechtigung

Dass es in „normalen“ Jobs und im Leben generell mit der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau noch hapert, zeigen jedes Jahr der International Women’s Day oder der Equal Pay Day. Aber wie sieht das Ganze im Triathlon aus?

Ja, im Profisport herrscht allgemein ein Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Athleten. Für letztere gibt es in den meisten Sportarten weniger Medienpräsenz, weniger Zuschauer, weniger Geld. In der Forbes-Liste der 100 bestverdienenden Profisportler finden sich gerade einmal zwei Frauen, unter den Top-20 gar keine. In einer aktuellen Umfrage des SWR gaben 41 Prozent der befragten Teilnehmerinnen an, mit dem Leistungssport pro Jahr weniger als 10.000 Euro zu verdienen – inklusive Werbung, Sponsoring und Preisgelder.

Auch im Triathlon ist nicht alles gleich für männliche und weibliche Profiathleten. So dürfen zum Beispiel weniger Profifrauen als Profimänner bei der Ironman-WM auf Hawaii an den Start gehen. Da das Profi-Frauenfeld auf den Mittel- und Langdistanzen meist später startet als das der Männer, kommen sich außerdem Profiathletinnen und schnelle Agegrouper eher in die Quere. „Das kann schon einiges verzerren“, sagt Laura Philipp, Hawaii-Vierte von 2019.

Ganz abgesehen davon, dass die Foto- und Fernsehkameras meist mit den Männern auf die Strecke gehen und dort auch gern verweilen, was deren Medienpräsenz im Vergleich zu der der Frauen erhöht. „Wenn es nicht zufällig ein Rennen ist, in dem eine Athletin ein Heimrennen hat, wie ich meinen Abschiedswettkampf in Almere, ist die Livecoverage ungleich und die Männer bekommen mehr Medienzeit“, weiß Yvonne van Vlerken, Ex-Profiathletin und 17-fache Ironman-Siegerin.

Zweifelsohne Punkte mit Verbesserungspotenzial. Hat der Triathlon aber grundsätzlich ein Gleichberechtigungsproblem? „Nein“, sind Laura Philipp oder Yvonne van Vlerken überzeugt. Generell steht der Triathlon in puncto Gleichberechtigung gut da im Vergleich zu anderen Sportarten. Sehr gut sogar.

Ist Leistung gleich viel wert?

Drei der Top-5 in der Liste der bestverdienenden Triathlonprofis waren 2019 laut Webportal TriRating Frauen. Die Nummer eins war mit Katie Zaferes, Kurzdistanzlerin und ITU-Weltmeisterin 2019, weiblich besetzt.

Zwar gab es auch beim Finanziellen Ausnahmen und der Allgäu Triathlon schüttete z. B. bis Ende der 90er noch ungleiches Preisgeld aus. Dennoch ist der Triathlon eine der wenigen Sportarten, wenn nicht die einzige, in der von Anfang an darauf geachtet wurde, dass Frauen und Männer gleich hohe Preisgelder bekommen: sowohl beim ersten preisgelddotierten Rennen überhaupt, 1982 in San Diego, als auch bei der Ironman-WM 1986, als dort erstmals Preisgelder gezahlt wurden.

Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht – damals nicht und auch nicht heute. Weder im nicht-sportlichen Berufsleben, wie der Equal Pay Day alljährlich aufzeigt, noch in anderen Sportarten. Beispiel Radsport: „Beim Rennen Omloop Het Nieuwsblad 2021 bekam die Siegerin im Frauenrennen 930 Euro, der Männersieger 16.000“, erzählt Tanja Erath. Die ehemalige Hobby-Triathletin fährt seit 2017 professionell Rad, seit diesem Jahr im Team TIBCO-SVB.

„Vor dem Wechsel waren mir die Unterschiede nicht so bewusst“, sagt sie. Jetzt fühle sie sich ein wenig wie in die Steinzeit zurückkatapultiert: „Das sind Größenunterschiede im Radsport, die sind nicht vertretbar.“ Zwar tut sich auch in dieser Disziplin einiges, um Frauen und Männer auf ein gleiches Niveau zu heben.

Im Gegensatz zum Triathlon sollen Frauen hier aber erst „ab spätestens 2023 ein genauso hohes Mindestgehalt bekommen wie Männer“, erklärt Tanja Erath. Von einer geplanten Angleichung der Prämien, die auch mal aus einem Staubsauger für die Frauensiegerin bestehen können, weiß Erath dagegen nichts.

Immerhin: Beim Rennen Strade Bianche, das im März stattfand, haben Fans mittels Crowdfunding-Kampagne auf gofundme das Preisgeld für die Frauen aufgestockt, das sonst ein Vielfaches niedriger gewesen wäre als das der Männer. Auch wichtig: Es wurde über die Aktion und über die mangelnde Gleichberechtigung von männlichen und weiblichen Athleten gesprochen.

Initiative(n) ergreifen

Dass Frauen im Triathlon eine Stimme haben, zeigt sich in verschiedenen Initiativen. So gibt es seit 1990 das Women’s Committee. Gegründet hat es die Internationale Triathlon Union (ITU), der seit 2008 eine Frau vorsteht: Marisol Casado. Aufgabe dieses Komitees ist es, für gleiche Chancen, Anerkennung und Entlohnung aller Frauen im Triathlon zu sorgen; egal ob Athletin, Trainerin, Offizielle oder in der Verwaltung tätig.

Immer wieder gibt es das Format der Jagdstarts, bei dem die Triathletinnen einige Minuten vor den Männern auf die Strecke gehen, und das Preisgeld unabhängig vom Geschlecht in Zieleinlauf-Reihenfolge gezahlt wird – zum Beispiel 2014 beim Allgäu Triathlon.

Im Jahr 2015 formierte sich TriEqual, eine Initiative, in der Profi-Triathletinnen für mehr Frauen-Slots auf Hawaii kämpfen. Die Forderung „50 Women to Kona“, also genauso viele Startplätze wie für Männer bei der Ironman-WM, wurde bisher noch nicht erfüllt.

Das bedeutet aber nicht, dass Ironman seine Athletinnen grundsätzlich anders betrachtet als seine Athleten. Immerhin gründete der Rennveranstalter ebenfalls 2015 die Initiative Women For Tri zur Förderung des Frauenanteils im Triathlon.

Rund 300.000 Euro sind bisher in diese Förderung geflossen, die dazugehörige Facebook-Gruppe hat zirka 60.000 Mitglieder. „Wir möchten eine Bühne und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Frauen im Triathlon Unterstützung und Wertschätzung erfahren“, erläutert Ironman-Pressesprecher Stefan Jäger.

Als fair und angemessen betrachtet Ironman die Verteilung der Hawaii-Slots zwischen Profi-Männern und -Frauen. „Ich kann den Gedanken dahinter verstehen“, sagt Yvonne van Vlerken. „Die Leistungsdichte bei den Männern ist einfach höher.“

Frauen, die sich trauen

Tatsächlich ist es so, dass der Anteil der Frauen im Triathlon, und damit wohl auch die Leistungsdichte in der Spitze, noch immer deutlich geringer ist als bei den Männern. Laut Stefan Jäger machen Athletinnen in europäischen 70.3-Rennen rund 20 Prozent aus, auf der Ironman-Distanz sind es 14,5 Prozent. Beim DATEV Challenge Roth sind rund 17 Prozent der Einzelstarter weiblich, was aber laut Challenge-Medien-Manager Heiko Wörrlein „eine Verdoppelung der Zahlen seit 2002 bedeutet“. Bei der Roth-Premiere 1984 war gar nur eine einzige Starterin dabei.

Und auch das seit 2013 existierende Format der Challenge Women, ein Lauf über fünf Kilometer, der von Frauen für Frauen organisiert wird, erfreut sich wachsender Beliebtheit: Waren es im ersten Jahr noch 600 Teilnehmerinnen, sind es mittlerweile um die 2.000, die die Strecke joggend oder walkend unter die Sportschuhe nahmen.

Beim virtuellen „Dreams cannot be cancelled“-Run über den Jahreswechsel 2020/2021 war knapp die Hälfte der Teilnehmenden weiblich. „Wir sind optimistisch, dass sich der Trend fortsetzt“, prognostiziert Wörrlein.

Rauf auf die Bühne!

Frauen in den Triathlon zu bringen, indem sie gezielt eine Plattform bekommen, könnte ein gangbarer Weg sein. Diese Plattform kann im Agegroup-Bereich zum Beispiel entstehen, indem Frauen ein eigenes Angebot gemacht wird, das ihnen die Scheu nimmt, es einfach mal zu versuchen, wie bei der Challenge Women in Roth mit extra „Frauen-Areal“ auf der Triathlonmesse und einem Lauf „unter sich“. Im Profisport kann diese Plattform entstehen, indem Langdistanzrennen nur für Profi-Frauen geöffnet werden, wie Ironman sie in Schweden und Dänemark bereits umgesetzt hat und für Hamburg und Klagenfurt plant.

Eine tolle Sache, findet Laura Philipp. Zum einen, weil „dadurch die Frauen mehr Coverage bekommen und so für Sponsoren interessanter werden“, ist sie überzeugt. Zum anderen könne es Frauen, die ein solches Rennen im Fernsehen oder live sehen, dazu ermutigen, es auch einmal zu versuchen.

Eine wachsende Lust der Frauen auf Triathlon macht sich tatsächlich bemerkbar: „Wenn ich früher und heute vergleiche, ist es schon so, dass sich Frauen eher an den Triathlon rantrauen. Das hat sich gebessert“, bestätigt Yvonne van Vlerken. Das gilt für den Agegroup-, aber auch für den Profibereich: „Statt zwei oder drei guter Mädels stehen jetzt sechs oder sieben am Start“, sagt van Vlerken – obwohl es insgesamt mehr Rennen gibt, auf die sich die Profis verteilen.

Dafür, dass auch mehr Hobbysportlerinnen den Schritt in den Triathlon wagen, engagiert sie sich als Trainerin im Team Sirius Tri Club von Siri Lindley, ehemalige Profi-Triathletin und nun Trainerin, die unter anderem Mirinda Carfrae zu drei WM-Titeln coachte.

Weibliche Coaches sind laut SWR-Umfrage generell übrigens noch eine Seltenheit im Leistungssport – 77 Prozent der Frauen gaben an, überwiegend von Männern trainiert zu werden. 40 Prozent wünschten sich, dass der Zyklus stärker in die Trainings- und Wettkampfplanung einbezogen werde, mehr als die Hälfte fühle sich jedoch unwohl, darüber mit einem männlichen Trainer zu sprechen.

Im Triathlon steht das Thema weiblicher Zyklus und Training zwar auch noch ziemlich am Anfang, es ist aber immerhin bereits ein Thema; so bezieht zum Beispiel Kickass Sports, das Coaching-Unternehmen von Laura Philipp und Philipp Seipp, den Zyklus beim „Individual Women“-Programm bewusst mit ein, auf dem Blog von Trainingsinstitut IQ Athletik wird es thematisiert und auch bei den Trainern in der Pushing Limits „Coaches Corner“ wurde im Juli-Podcast 2020 darüber diskutiert.

Dranbleiben und hinschauen

Alles bestens also für Frauen im Triathlon? Nun ja, sagen wir: Alles ziemlich gut. Es gibt immer Möglichkeiten, es noch besser zu machen. Für die Rennveranstalter, für die Medien, für die Verbände, für die Athletinnen und Athleten – aber auch für die Agegrouer und Fans dieser Sportart. Denn was bringen spezielle Angebote und Medienpräsenz, wenn sie nicht genutzt, wenn Livestreams nicht geguckt werden?

So berichtet Ironman-Pressesprecher Stefan Jäger, dass sich trotz vieler Initiativen und Bemühungen zwischen 2016 und 2020 die Anzahl an Athletinnen auf der 70.3-Distanz gerade einmal um einen niedrigen einstelligen Prozentsatz erhöht hat. Beim Ironman Frankfurt 2019 waren die Zuschauerzahlen im Livestream um einiges höher als Jan Frodeno durchs Ziel ging als später dann bei Frauensiegerin Skye Moench. Ähnlich bei der Challenge Daytona: War die Zuschauerzahl des Pushing-Limits-Livestreams ebenfalls merklich höher, als Gustav Iden durchs Ziel kam als zuvor im Frauen-Rennen.

Dass Profiathletinnen aufstehen und dafür kämpfen, Raum zu bekommen, hat sicherlich dazu beigetragen, dass der Triathlon eine der Sportarten mit hoher Gleichberechtigung ist. Es trägt sicherlich auch dazu bei, dass Verbände, Rennveranstalter und Medien (Profi-)Frauen wahr- und ernstnehmen.

Es ist wichtig, sich Gehör zu verschaffen und Möglichkeiten zu eröffnen. Mindestens genauso wichtig ist es aber, diese Möglichkeiten auch zu nutzen. Deshalb, Mädels (und Jungs): Schaut euch Frauenrennen im Livestream an oder im Fernsehen. Fordert Berichte übers und Interviews vor und nach dem Frauenrennen. Und vor allem: Traut euch an den Start eines Triathlons. Egal wie kurz oder lang. Es ist auch nur Sport, ihr könnt das! Und ihr werdet es lieben.

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9 Kommentare

  1. Also wenn die Pro- Mädels so weiter machen wird sich das Thema bald erledigt haben. Sieht man sich die letzten Rennen an, stellt man fest dass die Frauenrennen wesentlich spannender waren. Ähnlich ist das übrigens beim Biathlon….
    Das Frauenkonzept der DTU setzt sich für seperate AK Startwellen und mehr Toiletten im Start/Zielbereich ein. Das ist ggf. ein Anfang aber führt es wirklich dazu das Startfelder ausgeglichener werden?
    Als Veranstalter wäre es m.M interessant zu wissen was Frauen wollen.

  2. Da sackte die Zuschauerzahl des Pushing-Limits-Livestreams ebenfalls merklich ab, nachdem Gustav Iden als Männer-Sieger feststand.““

    Häh? Natürlich sackte die Zuschauerzahl da ab, denn da war der Renntag vorbei. Die Frauen waren längst im Ziel, vor den Männern und haben auch Interviews gegeben und genau die gleiche Aufmerksamkeit bekommen wie die Männer danach.

  3. Hi Stephan, es stimmt wie Carola es im Blog schreibt. Beim Pushing Limits Race in Ratingen sind die Männer zuerst gestartet und die Frauen 20 Minuten später, damit wir die letzten 20 Minuten des Frauenrennens komplett live zeigen konnten, ohne im Finale hin und her springen zu müssen. Viele grüße, Bocki

  4. Hi Niclas,
    aber Carola schreibt ja nicht von dem Pushing Limits Race, sondern von der Challenge Daytona in diesem Zusammenhang: „Ähnlich bei der Challenge Daytona: Da sackte die Zuschauerzahl des Pushing-Limits-Livestreams ebenfalls merklich ab, nachdem Gustav Iden als Männer-Sieger feststand.“
    Steh ich jetzt auf der Leitung oder ist das ein Missverständnis oder ein Tippfehler?
    Grüße zurück!

  5. Absolut richtig, da war die Verwirrung auf meiner Seite komplett 😀 Sorry! Jetzt ist es umformuliert und es sollte alles passen. Danke für die Anmerkung!

  6. Dann fasst euch doch Mal an die eigene Nase: statt während dem Frauenrennen unter dem Weihnachtsbaum zu sitzen und erst beim Männerrennen einschaltet, schaut ihr euch doch auch beide Rennen an!
    LG von einer TriathletIN

  7. Danke für den Hinweis, das haben wir aber letztes Jahr bereits als Verbesserungsvorschlag mitgenommen und geben unser Bestes. Auch Dank der neuen Redaktionspower sind wir für solche Unterfangen mittlerweile besser aufgestellt und konnten beim Ticker zur Challenge Miami bereits Taten folgen lassen. LG von Bocki