Rookie-Report: Was ich gerne vor meiner ersten Saison auf der Mitteldistanz gewusst hätte
21. Dezember 2022
Du spielst gerade mit dem Gedanken, auf die Mitteldistanz zu wechseln? Gut so! Ging Rookie-Reporterin Lena vor gut einem Jahr auch nicht anders. Vielleicht bringen dich ihre Erkenntnisse also auch ein Stück weiter – zum Beispiel bei deiner Suche nach dem Triathlon-Glück.
„Und nächstes Jahr dann Langdistanz, Lena? Wäre ja der logische Schritt!“ – vor gut einem halben Jahr, noch geflasht von der herrlichen Atmosphäre beim Challenge Roth, hätte ich auf diese Frage vermutlich mit einem euphorischen Kopfnicken geantwortet. Zu dem Zeitpunkt auf der Haben-Seite in der Saison: eine für meine Verhältnisse (!) passable Olympische Distanz und die erste Mitteldistanz, die ich etwas überraschend ins Ziel gebracht und irgendwie gut weggesteckt hatte. Ich war im Flow und verdammt gehyped, am liebsten sofort den nächsten Schritt zu machen.
Als mir die Frage vor ein paar Wochen tatsächlich gestellt wurde, reagierte ich aber völlig anders – und zwar verhalten: „Naja, vielleicht sollte ich erstmal zufrieden auf der Mitteldistanz werden.“ So weit, so räsoniert. Oder auch: desillusioniert. Denn zur Wahrheit nach der ersten Saison mit zwei Mitteldistanz-Finishes gehört auch: Mein Verhältnis zum Triathlon hat sich 2022 grundlegend verändert.
Oha, das klingt so negativ, ist aber tatsächlich wertfrei gemeint. Es ist eben einfach anders. Nicht mehr, nicht weniger. Und das liegt vor allem daran, dass mit dem Upgrade auf die Mitteldistanz, der zunehmenden Triathlon-Vereinnahmung meines alltäglichen Lebens und damit einhergehendem Chaos unterm Strich auch ein paar Erkenntnisse bleiben …
1. Ein Finish allein macht nicht glücklich.
Nach meinem Finish beim Allgäu Triathlon 2022 war ich vielleicht fünf Minuten glücklich. Ein kurzes „Jo, cool!“ und dann ging’s weiter mit zig anderen Themen. „Mal eben“ oder gar „zwischendurch“ eine Mitteldistanz zu finishen, stellte sich als der größte Schwachsinn der Saison für mich heraus.
Fazit: Um stolz auf das Finish einer Mitteldistanz sein zu können, gehört für mich mehr dazu, als nur 1,9 Kilometer zu schwimmen, 90 Kilometer Rad zu fahren und 21,1 Kilometer zu laufen. Wusste ich vor der Saison auch nicht; ich hatte gedacht, der Stolz käme so oder so auf. Blöd nur, dass ich den Gänsehaut-Faktor, die Pre-Race-Nervosität, dieses Kribbeln im Bauch vor lauter Defokussierung auf den Sport im Laufe der Saison verloren hatte. Ergebnis: Als ich das nach getaner Arbeit am folgenden Tag bemerkte, saß ich heulend im Hotelzimmer. Ohne sportlichen Ausblick und vor allem ohne den erhofften Glückshormon-Cocktail im Ziel fühlte es sich an, als hätte sich der ganze Aufwand im Vorfeld nicht gelohnt. All der Verzicht, aber auch so mancher Verlust im schwindenden Privatleben. Ich hatte mir selbst den Spaß an dem genommen, was ich eigentlich nur tat, um Spaß zu haben – nämlich Triathlon. Großer Faux-Pas. After-Race-Blues auf die harte Tour!
Daher mein von Herzen lieb gemeinter Rat: Lasst euch nach all dem Training spätestens in der Race-Week genügend Raum, den Vibe aufzusaugen, stolz auf alles zu sein, was ihr ohnehin geleistet habt – und genießt verdammt nochmal, was ihr da tut. Eine Mitteldistanz ist eine krasse Leistung. Für den Körper sowieso. Muss man einfach feiern!
- Zum Thema Glück:
Ist „Train. Eat. Sleep. Repeat.“ wirklich so glückstiftend, wie wir alle meinen?
2. Stress, Ernährung, Erholung: Grundsätzliches wird ab der Mitteldistanz noch entscheidender.
Ich sag’s ja immer wieder: Ab der Mitteldistanz hört der Spaß auf. Okay, im Kontext von Punkt eins klingt auch das negativer, als es gemeint ist. Tatsächlich beziehe ich mich dabei aber auf grundsätzliche Routinen, die über das Training hinausgehen.
Stress zu vermeiden, sich ausgewogen und trainingsspezifisch zu ernähren, Regeneration einzuplanen, ist zwar Triathlon-Trainingswissen der ersten Stunde. Aber spätestens ab der Mitteldistanz realisiert man, dass es wirklich Folgen hat, wenn man all das nicht beherzigt. Bei vier bis fünf Stunden Training kannst du es vielleicht noch verkraften, wenn nicht jeder Tag von gesunder Ernährung oder auch mal mangelhaftem Schlaf gezeichnet ist. Aber bei zehn und mehr Stunden Training wird all das – zumindest nach meiner Erfahrung ohne leistungssportlichen Hintergrund – wirklich entscheidend, um sich eben nicht völlig zu zerstören. Learning für mich: Regeneration ist 2023 aktiver Teil meines Trainingsplans. Das hatte ich vor lauter Training 2022 glatt vergessen.
3. Motivation ist nichts Selbstverständliches.
Motiviert zu bleiben, ist harte Arbeit. Und es ist eben nicht völlig normal, von sich aus sagen zu können: „Klar hab ich Bock auf Triathlon!“ Auch ich musste in den vergangenen Wochen extrem daran arbeiten, in diesen Bock zurückzufinden. Denn zum Ende der Saison war die Motivation doch nicht der stetig-treue Begleiter, als den ich sie kannte.
Ein Gefühl, das ich nach meiner ersten Triathlon-Saison auf der Olympischen Distanz übrigens nicht hatte. Da war das nächste Ziel schon gesteckt, bevor ich das erste überhaupt erreicht hatte. Keine Ahnung, ob das nun an der Distanz oder vielleicht auch am grundsätzlichen Thirty-Something-Chaos lag. Fakt ist: Eine Mitteldistanz allein ist aktuell für mich kein Motivator, eine Langdistanz mir aber eine Nummer zu groß. Mit Blick auf 2023 habe ich deswegen entschieden, die Events drumherum als Motivation zu sehen … das letzte Wort ist da aber noch nicht gesprochen.
- Podcast-Tipp:
Auch Nick und Nils haben sich kürzlich dem Thema Motivation angenommen im Triathlon-Chat …
4. Vom After-Race-Blues zum totalen Knockout: Die Quittung bekommst du in der Off-Season.
Wie bereits in Punkt eins erwähnt: After-Race-Blues-Struggle is real! Dank alternativem Sport und neuen Rookie-Reizen habe ich inzwischen zwar wieder so richtig Lust auf Triathlon-Training. Aber diese Rechnung hatte ich leider ohne meinen Körper gemacht.
Von 100 auf 0 zu gehen, war noch nie eine gute Idee. Im Klartext: Zwei Grippe-Erkrankungen, eine Streptokokken-Geschichte und eine Mittelohrentzündung später muss ich sagen, dass ich den Fehler, in der Off-Season einfach ü-ber-haupt nicht mehr zu trainieren, vermutlich nie wieder machen werde. Nicht nur aus Endorphin-, sondern auch aus Immunsystem-Gründen. Ab und zu braucht eben auch letzteres einen Reiz, um vernünftig zu laufen, wenn es das ganze restliche Jahr Höchstleistungen erbringen soll. Das gilt eben gerade ab der Belastung für die Mitteldistanz. Amen.
5. Nicht jeder ist ein High-Performer auf der Mitteldistanz.
Meine Zeiten spiegeln das vielleicht nicht unbedingt wider (ey, Sub7 ist Sub7!), aber: Auch ich habe durchaus so etwas wie Ambitionen. Sobald man die erste Mitteldistanz ins Ziel gebracht hat, weiß man nämlich, was so gehen könnte, woran man arbeiten sollte und was man beim nächsten Mal besser machen müsste. Inzwischen würde ich aber sagen: Es gibt auch ein Ende der Performance-Fahnenstange. Das wird nicht nur durch allgemeine Leistungsfähigkeit, sondern vor allem durch Leistungsmöglichkeiten vorgegeben.
Klingt kompliziert? Ich mach’s mal konkreter: Solange ich einen Vollzeit-Job, Pflichten als alleinerziehende Mama und zumindest die Vision einer Work-Life-Train-Balance habe, kann ich nicht mehr aus meinem Training und meiner Performance herausholen, als ich es in diesem Jahr gemacht habe.
Ob mich das jetzt traurig macht? Von wegen! Genau diese Erkenntnis, das Beste aus meinen Möglichkeiten gemacht zu haben und künftig auch wieder zu machen, ist für mich die schönste dieser ersten Mitteldistanz-Saison. Ich bin keine High-Performerin – aber ich bin trotzdem Triathletin. Auf meine Art.
Auf bald, ihr Trainingstiere!
Lena
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