Triathlon-Typen: Wer glaubst du, dass du bist?
13. Mai 2021
Boris Stein scheinen selbst seine eigenen Siege nicht großartig aus der Reserve zu locken, Patrick Lange tanzt auch mal, wenn er gewinnt. Jan Frodeno rutscht beim Zielinterview nie ein falsches Wort heraus, dafür rempelt Alistair Brownlee mitunter Athleten an, die vor ihm gefinisht haben. Alle sind Profiathleten, alle sind Triathleten, aber alle sind komplett unterschiedliche Charaktere. Nicht nur nach dem Rennen. Titelbild: deepvelop
Welche Persönlichkeitstypen es grundsätzlich im (Triathlon-)Sport gibt, was sie für Training und Wettkampf bedeuten und wie man sich typgerecht in Topform bringt, das verrät Diplompsychologe und Sportmentaltrainer Stefan Westbrock von deepvelop.
Stefan Westbrock, welche Persönlichkeitstypen gibt es bei Triathleten grundsätzlich?
Stefan: Bei Triathleten wie bei Sportlern allgemein lassen sich vier Grundtypen unterscheiden: den leistungsorientierten Arbeiter, den beziehungsorientierten Teamplayer, den einflussnehmenden Dominanten und den freiheitsorientierten Kreativen.
Worin unterscheiden sich diese vier Grundtypen?
Stefan: Der leistungsorientierte Arbeiter ist eher diszipliniert. Er braucht einen strukturierten Trainingsplan, an den er sich auch hält. Seine Daten zeichnet er gern sorgfältig auf. Der beziehungsorientierte Teamplayer fühlt sich am wohlsten, wenn alles harmonisch ist und er in der Gruppe trainieren kann. Der Dominante hat auch gern andere um sich, allerdings möchte er bestimmen, was gemacht, wie schnell gefahren wird und so weiter. Der freiheitsorientierte Kreative ist am liebsten ohne Zwänge unterwegs, sprich: Trainingspläne sind überhaupt nicht sein Ding, er möchte nach Lust und Laune Sport machen.
Heißt das, die Alltags- und die Sportpersönlichkeit können sich unterscheiden?
Stefan: Nein, generell decken sich die Alltags- und die Sportpersönlichkeit, meist ist sie eine Mischform aus den eben genannten Grundtypen. Unter Stress und bei hohen Anforderungen, wie bei harten Trainings oder im Wettkampf, kommt aber die Kernpersönlichkeit raus.
Und dieser Kernpersönlichkeit ist man ausgeliefert?
Stefan: Die Persönlichkeit zu ändern, funktioniert tatsächlich nicht. Und das soll man auch gar nicht. Grundsätzlich, und das ist ganz wichtig, ist jeder richtig, so wie er ist. Hat jemand aber das Gefühl, er verschenkt Potenzial oder fühlt sich nicht wohl, ist es durchaus möglich, sein Verhalten in den jeweiligen Situationen zu erkennen, zu verstehen und entsprechend zu ändern.
Man kann sich die Persönlichkeit wie eine Kommode mit ganz vielen Schubladen vorstellen: manche benutzen wir öfter, sie sind leichtgängiger, während wir von anderen vielleicht gar nicht wissen, dass sie da sind, obwohl wir sie ganz gut gebrauchen könnten.
Wie kann man sein Verhalten ändern?
Stefan: Anhand von vier Systemen: der spezifischen Informationsaufnahme, mittels derer wir zum Beispiel erkennen, was uns stört oder belastet; dem persönlichen Informationsverarbeitungsmechanismus, der uns lernen und verstehen lässt, warum uns etwas stört oder belastet, und der unser Zugang zu unserem Erfahrungsschatz ist. Dann gibt es noch die objektive Informationsverarbeitung, das ist die Stufe der Zielorientierung, der Strategie. Hier legen wir uns einen Plan zurecht, wie wir das, was uns stört, ändern können. Die automatische Informationsaufnahme ist dann die intuitive Handlungssteuerung, mittels derer wir unseren Plan umsetzen. Viele bleiben aber in einer Stufe hängen oder erreichen gar nicht die erste. Es ist also sinnvoll, sich zumindest zu Beginn mit einem Profi auszutauschen.
Wenn, das, was mich stört oder was ich brauche, mit meinem Kerntypus zusammenhängt: Wie finde ich denn heraus, welcher ich bin? Im Wettkampf achtet man doch auf andere Dinge …
Stefan: Das stimmt, man kann aber auch in anderen Stressphasen, zum Beispiel im Job, darauf achten, wie man jetzt gerade reagiert und auf welchen Grundtyp das passt. Es gibt aber außerdem einen allgemeinen Test, den ViQ®, mit dem sich die Kernpersönlichkeit bestimmen lässt. Der kommt ursprünglich aus der Wirtschaft, dem Profiling, und wurde auf den Sport übertragen und in einfachere Sprache gefasst. Der Test dauert zehn Minuten, basiert auf dem Unbewussten und man bekommt eine Auswertung per PDF plus ein Auswertungsgespräch, wenn man das möchte.
Lohnt es sich denn auch für jemanden, der eigentlich ganz zufrieden mich sich und seinem Sport-Ich ist, seine Kernpersönlichkeit zu erkunden?
Stefan: Ja, zum Beispiel, wenn jemand gut drauf ist, aber denkt, dass er noch Potenzial hat, dann kann er davon profitieren, seine Persönlichkeit zu kennen. Und wenn es nur zwei Prozent mehr Leistung sind. Wer eifrig und diszipliniert ist, wird gut, verletzt sich aber auch schneller, weil durch die Anspannung der Muskeltonus so hoch ist. Wer harmoniebedürftig ist, lässt sich vielleicht von anderen irritieren, die sich im Training und Wettkampf reiben wollen. Wissen die Athleten darum, können sie sich entsprechend verhalten.
Was bedeutet das konkret?
Stefan: Das bedeutet, auch mal das Gegenteil dessen zu machen, was seiner Persönlichkeit entspricht: ein leistungsorientierter Arbeiter sollte es ruhig mal einplanen und dann zulassen, ohne Gadgets und nach Lust und Laune zu trainieren. Ein Teamplayer sollte sich auch mal Konfrontationen stellen, da er dazu neigt, in harmonischem Umfeld gute Leistungen zu bringen, bei Konflikten aber schnell wegklappt. Es kann unglaublich befreiend sein zu sehen, auch mal die eigene Meinung zu vertreten. Der Dominante muss das Gegenteil lernen: Harmonie und Beziehung zu anderen auszuhalten. Und der freiheitsliebende Kreative könnte sich darauf einlassen, mal vier oder sechs Wochen nach Plan zu trainieren.
Warum sollte man das tun und nicht der Kernpersönlichkeit entsprechend trainieren?
Stefan: Weil man dadurch in eine gute Balance kommt, in der es besser möglich ist, die Stärken zu forcieren. Balance bedeutet, sich gut gebettet zu fühlen, was Leistung und Gesundheit verbessern kann. Man tut etwas für sein körperliches und psychisches Fundament. Denn wenn es jemandem gut geht, ist er auch bereit, Leistung zu bringen. Stimmt das Fundament, kann schon eine einzige Technik reichen, mit der man sich motiviert.
Womit wir beim Mentaltraining wären, oder?
Stefan: Mentaltraining befähigt den Sportler dazu, sich selbst zu entwickeln, man muss aber auch immer selbst was dazutun. Das ist, wie wenn man zum Physiotherapeuten geht: Der kann einen durchkneten, aber man muss auch seine Übungen daheim machen, wenn es was bringen soll.
Welche Übungen sind das im mentalen Bereich?
Stefan: Eingangs geht es im Mentaltraining ganz viel um Körperwahrnehmung: wie ist mein Puls, meine Atmung? Kann ich beides beeinflussen, wie beruhige ich mich? Man lernt, das vegetative Nervensystem zu steuern. Dann kommen Selbstgespräch und Selbstregulation, bei denen es zum Beispiel darum gehen kann, das Denken von „Ich muss Leistung bringen“ zu „Ich erlaube mir, mein Bestes zu geben“ zu wandeln. Visualisierungsarbeit kommt meist erst viel später.
Was bringen solche mentalen Übungen einem Hobbysportler?
Stefan: Sie helfen ihm, die richtige Motivationsstruktur zu finden. Am sinnvollsten arbeiten Mentalcoach und Trainer zusammen, damit beide Komponenten aufeinander abgestimmt sind. Denn Mentaltraining ist ein sich wandelnder Prozess. Genau wie das körperliche Training auch.
Übrigens: Wer tiefer in die Techniken des mentalen Trainings eintauchen und lernen möchte, sich selbst zu coachen, kann dies in der deepvelop-Ausbildung zum Sportmentaltrainer tun.
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