Olympia und die Coronakrise: Die Komplexität einer logischen Konsequenz
21. März 2020
Sollen die Olympischen Sommerspiele in Tokio verschoben werden? Diese Frage beschäftigt die Sport- und Athletenwelt in Zeiten der Coronakrise. Es ist eine Frage, die nicht leichtfertig und schon gar nicht voreilig beantwortet werden kann. Eine Antwort lässt sich jedoch direkt beim International Olympic Comitee (IOC) und in der sogenannten „Olympischen Charta“ finden. (Titelbild: imago images / AFLOSPORT)
Im Moment gibt es wichtigeres als Sport. Das ist die eine Seite der Medaille. Für jeden von uns gibt es allerdings in diesen Zeiten auch noch eine andere Seite. Und somit ist es vollkommen legitim, wenn sich die Sportwelt, trotz der unruhigen Lage, trotz der schwierigen Situation in Deutschland und der ganzen Welt, mit der Frage beschäftigt: Soll Olympia in diesem Sommer stattfinden oder verschoben werden?
Olympia verschieben: Eine Frage der Perspektive?
Es gibt unzählige Facetten und Perspektiven, die man in dieser Diskussion beleuchten könnte. Zum einen ist es die Facette der Protagonisten, der Athleten. Für tausende Sportler ist Olympia nicht nur Lebenstraum, sondern auch existenziell wichtig. Olympia bietet eine Bühne, bietet Öffentlichkeit und Präsenz, die mitunter für Sponsoren interessant ist. Hinzu kommen die Verdienstmöglichkeiten bei Vorbereitungs- und Qualifikationswettkämpfen, Antrittsgelder, Prämien. Für die Athleten ist es also nicht nur die Teilnahme an sich, sondern auch der Weg zu Olympia, um den es sich bei der Frage dreht: Soll Olympia in diesem Sommer stattfinden oder verschoben werden?
Etwas mehr als 50 Prozent aller Plätze in den Olympiakadern sind bis dato vergeben. Das heißt aber auch, dass noch fast die Hälfte aller Plätze offen und zu vergeben ist. Angesicht der Coronakrise fallen aktuell reihenweise Qualifikations-Wettkämpfe und Turniere aus. Trainingsstätten sind gesperrt, Ausgangssperren werden verhängt – an eine Vorbereitung unter Voraussetzung von Chancengleichheit ist mittlerweile längst nicht mehr zu denken.
Im Athletenlager werden die Stimmen immer lauter, die das IOC zu einer Entscheidung drängen. Ein wirklich klares Bild existiert bisher noch nicht, wenngleich der Eindruck überwiegt, dass ein Großteil der Athleten eine Verschiebung der Spiele absolut begrüßen würde. In einem Artikel der Augsburger Allgemeinen geht es darum, dass „Athleten die Absage von Olympia fordern“ und auf sportschau.de plädieren wiederum Athleten für eine Verschiebung der Spiele und dafür, dass Olympia warten soll.
Max Hartung, Vorsitzender des Vereins „Athleten Deutschland“, hätte in Tokio seine dritte Olympiade als Fechter erlebt. Erst vor wenigen Stunden hat er jedoch für sich eine Entscheidung getroffen und sich gegen eine Teilnahme entschlossen.
Die Ausrichter und das IOC
Dann gibt es die Perspektive des Ausrichters: Tokio. Dort wurde in den vergangenen Jahren eine beeindruckende Infrastruktur geschaffen, um die Olympischen Spiele in knapp vier Monaten stattfinden zu lassen. Die Investition waren immens, laut handelsblatt.com sollen allein die Ausgaben von Japan bei rund neun Milliarden Euro liegen – was übrigens sieben Mal so viel wäre, wie ursprünglich geplant.
Hinzu kommt noch ein ganz anderer Faktor: Mit den Spielen in Tokio will sich Japan von einer neuen Seite zeigen und das Fukushima-Trauma, das wie ein schwarzer Schleier über dem stolzen japanischen Volk liegt, endlich hinter sich lassen. Sollten die Spiele tatsächlich nicht stattfinden wie geplant, so dürfte sich diese Entscheidung anfühlen wie eine Niederlage. Unter diesem Gesichtspunkt scheint es nachvollziehbar, dass sich die Offiziellen gegen eine Verschiebung stemmen.
Und dann ist da noch das International Olympic Comitee, das IOC. Das IOC ist federführend für die Ausrichtung von Olympia verantwortlich. Außerdem hält es die Vermarktungsrechte und macht mit den Spielen ein gutes Geschäft: Mit gut sechs Milliarden US-Dollar sind die Einnahmen berechnet, die sich aus Sponsorings, Ticket-Verkäufen und der Vermarktung von TV-Rechten ergeben.
Gleichzeitig fließt dadurch aber auch enorm viel Geld in all die Sportverbände, die ihren Sport zu einem Großteil durch diese Gelder finanzieren. Es dürfte daher einem wirtschaftlichen Totalschade nahe kommen, wenn Olympia ersatzlos ausfallen würde. Aus diesem Grund wäre eine Verschiebung der einzig gangbare Weg, bei dem alle Beteiligten möglicherweise mit ein oder zwei blauen Augen davon kommen würden. Auch nicht zu vergessen sind eventuelle Verträge mit Juristen und Versicherungen, sicherlich ein ziemlich entscheidender Punkt, wenn es darum geht, warum das IOC bisher noch keine Entscheidung getroffen hat.
Verantwortung gegenüber den Menschen
Aus einem Dokument des Deutschen Olympischen Museums über die Olympische Bewegung geht hervor, dass Olympia 2012 weit über 100.000 Menschen beigewohnt haben – Zuschauer und Fans nicht eingerechnet: Damals waren es rund 10.500 Athleten, 70.000 akkreditierte freiwillige Helfer, mehr als 20.000 Medienvertreter und über 6.000 Angestellte. Allein wenn diese Zahl von 2012 in diesem Jahr für Tokio wieder gelten würde, wäre eine Durchführung der Spiele schlichtweg unverantwortlich. Nicht nur den Athleten gegenüber, sondern wohl allen direkt oder indirekt beteiligten Menschen.
Möglicherweise ist die Antwort klar
Wie also soll man die Frage beantworten: Soll Olympia in diesem Sommer stattfinden oder verschoben werden? Eigentlich liegt die Antwort auf der Hand: Pierre de Coubertin hat 1908 zum ersten Mal die wichtigsten Bestimmungen für die sogenannte Olympische Bewegung formuliert. Mit den Jahren ist daraus die „Olympische Charta“ (OCh) entstanden. Die Olympische Charta kodifiziert die grundlegenden Prinzipien des Olympismus und die Regeln und Durchführungsbestimmungen, die vom IOC erlassen werden.
Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, hat in seinem Geleit zur Übersetzung der OCh von 2014 formuliert: „Die Charta wurde ständig den sportpolitischen und gesellschaftlichen Veränderungen angepasst und reagiert auf neue Sichtweisen der Beteiligten ebenso wie auf Fehlentwicklungen. Weitgehend unverändert blieben dagegen die „fundamentalen Prinzipien“ mit der Darstellung der olympischen Werte wie Fairness und Chancengleichheit, Respekt und Toleranz […]“. In den vergangenen Tagen und in den kommenden Wochen dürfte es durch die Coronakrise kaum möglich sein, Fairness und Chancengleichheit für alle Athleten, weltweit herzustellen. Eine erste Antwort auf die Frage also, ob die Spiele verschoben werden sollten.
In der Charta sind die grundlegenden Prinzipien des Olympismus festgeschrieben:
- Der Olympismus ist eine Lebensphilosophie, die in ausgewogener Ganzheit die Eigenschaften von Körper, Wille und Geist miteinander vereint und überhöht. Durch die Verbindung des Sports mit Kultur und Bildung sucht der Olympismus, einen Lebensstil zu schaffen, der auf der Freude an Leistung, auf dem erzieherischen Wert des guten Beispiels, der gesellschaftlichen Verantwortlichkeit sowie auf der Achtung universell gültiger fundamentaler moralischer Prinzipien aufbaut.
- Ziel des Olympismus ist es, den Sport in den Dienst der harmonischen Entwicklung der Menschheit zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern, die der Wahrung der Menschenwürde verpflichtet ist.
- Die Olympische Bewegung ist unter der obersten Autorität des IOC das gemeinschaftliche, organisierte, weltweite und permanente Wirken aller Individuen und Organisationen, die sich von den Werten des Olympismus leiten lassen. Sie umfaßt die fünf Kontinente. Sie erreicht ihren Höhepunkt im Zusammenbringen der Athleten der Welt zu dem großen Fest des Sports, den Olympischen Spielen. Ihr Symbol sind die fünf ineinander verflochtenen Ringe.
- Die Ausübung von Sport ist ein Menschenrecht. Jeder Mensch muß die Möglichkeit zur Ausübung von Sport ohne Diskriminierung jeglicher Art und im olympischen Geist haben; dies erfordert gegenseitiges Verstehen im Geist von Freundschaft, Solidarität und Fairplay.
- Eingedenk dessen, dass Sport im Rahmen der Gesellschaft ausgeübt wird, müssen die Sportorganisationen der Olympischen Bewegung die Rechte und Pflichten der Autonomie haben, insbesondere die Regeln des Sports frei aufzustellen und zu überwachen, die Form und Leitung seiner Organisationen zu bestimmen, das Recht zu haben, Wahlen frei von äußerer Beeinflussung abzuhalten und die Aufgabe wahrzunehmen, dafür zu sorgen, dass die Grundsätze guter Verwaltungsführung eingehalten werden.
- Jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen ist mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung unvereinbar.
- Die Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung setzt die Einhaltung der Olympischen Charta und die Anerkennung durch das IOC voraus.
Herausforderung Terminfindung
Bis hierher klingt es so, als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die Mitteilung über die Verschiebung der Spiele bekannt gegeben wird. Eine Hürde muss in diesem Prozess allerdings genommen werden – eine Hürde, die Zeit kosten wird: Die Suche nach einem Ersatztermin. 2021 finden die Weltmeisterschaften der Leichtathleten und der Schwimmer statt, zwei olympische Kernsportarten. 2022 werden die Olympischen Winterspiele ausgetragen, ob das IOC zwei Spiele innerhalb eines Jahres bewältigen kann, ist fraglich – scheint allerdings als einzig mögliche Option.
Nimmt man diese ganzen komplexen Sachverhalte und zusätzlich die grundlegenden Verpflichtungen des IOC ernst, dann sollte die Antwort auf die Frage, ob die Olympischen Spiele 2020 verschoben werden sollten, klar mit Ja beantwortet werden können.
Das ist jedenfalls meine Meinung. Was denkt ihr? Schreibt eure Sicht auf die Dinge gerne hier unter den Beitrag oder bei Facebook in Kommentare.
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Das ist mein Kommentar. Steht in meinem Blog: https://www.birgitkober.de/2020/03/22/der-corona-virus-und-die-spiele-in-tokio-2020/