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Gästeblog: Ein Tag am Streckenrand mit Coach Nils Goerke

16. August 2019


Ironman Hamburg Nils Goerke Coaching3

Alex Siegmund kann nicht nicht nur Socken, sondern auch schreiben. Der Mann hinter incylence weiß, wie man in die Tasten haut. Deshalb gibt es heute einen Gästeblog des Nordlichts, der einen Tag lang Coach Nils Goerke dabei verfolgt hat, wie er seine Profi- und Age Group-Athleten durch einen Ironman begleitet. Viel Spaß! Hier kommt Alex:

Dass der Tag einer Langdistanz als Athlet sehr früh beginnt und extreme körperliche und mentale Herausforderungen mit sich bringt, kann ich mittlerweile aus zweifacher Erfahrung bestätigen. Wie aber sieht der Tag eines Triathlon-Coaches aus, der hautnah an der Strecke mit dabei ist und gleich 12 Athleten mit ganz unterschiedlichen Ambitionen im Rennen begleitet? Um der Frage auf den Grund zu gehen, habe ich mich beim Ironman Hamburg meinem Trainer Nils Goerke an die Fersen geheftet und ihn den Tag über begleitet.

4:45 Uhr: Treffen im Athleten-Hotel

Es ist noch dunkel über Hamburg. Die Alster liegt seelenruhig dar, als ich früh morgens auf dem Rad in Richtung Innenstadt unterwegs bin. Lediglich ein paar feierwütige Gestalten stören die fast gespenstisch wirkende Stimmung an der sonst so belebten Außenalster. In einigen Stunden werden am gleichen Ort Träume in Erfüllung gehen oder laut zerplatzen. Noch aber überwiegen die Müdigkeit und die zu solchen Uhrzeiten immer wiederkehrende Frage: „Wieso mache ich das eigentlich?!“

Der Tag beginnt für Nils genauso früh wie für die 2.500 Athleten, die an diesem Sonntag beim Ironman Hamburg an den Start gehen. Um 4:45 Uhr ist der Wahl-Hamburger bereits mit seiner Athletin Julia Gayer verabredet, die er seit dieser Saison unter seinen Fittichen hat und die ihre erste Langdistanz nur elf Monate nach Geburt ihrer Tochter Elin bestreitet. Der Ironman Hamburg ist gleichzeitig das erste Rennen, bei dem der neue Trainer an der Seite seines Schützlings ist. Neben einer gesunden Portion Nervosität und Vorfreude hat der Coach auch gekühlte Flaschen aus dem Eisfach für seine Athletin im Gepäck. Bei den erwarteten hohen Temperaturen dient die Eigenverpflegung der besseren Kühlung während des Rennens. „Schlecht geschlafen“ habe der Coach, „so wie früher als Profi vor erfolgreichen Rennen. Bestimmt ein gutes Zeichen.“

Ein paar Minuten später betreten Julia und ihr Mann Markus gemeinsam mit der noch schlafenden Tochter die Hotel-Lobby. Wie der Trainer, macht auch die 37-Jährige Profi-Athletin einen konzentrierten Eindruck. Die Stimmung beim Weg zum etwa 800 Meter entfernten Startbereich ist erstaunlich locker, bedenkt man, welche Ambitionen und Ansprüche die ehemals Sechste von Hawaii (2014) hat. Nach einem erfolgreichen Comeback auf Mittel- und Kurzdistanzen, möchte die Julia um die vorderen Plätze und das Ticket für die Weltmeisterschaften kämpfen.

Nervenkitzel beim Check-in

Beim Check-in trennen sich zunächst die Wege von Julia und Nils, der als Trainer nicht mit in die Wechselzone darf. Stattdessen nutzt er die Chance, noch weitere befreundete und betreute Athleten zu treffen und ihnen letzte Worte mit auf den Weg zu geben. Über der Hamburger Binnenalster liegt Spannung in der Luft.

Plötzlich ein Anruf. Einer seiner langjährigen Athleten meldet sich aus der Wechselzone. Nils versteinerter Blick lässt nichts Gutes vermuten: „Deine Radschuhe vergessen?!?“ Kurz macht sich Panik breit und ich kann erahnen, mit welcher Geschwindigkeit sich das Gedankenkarussell in diesen Augenblicken dreht. Kurze Zeit danach: Entwarnung, die Radschuhe wurden gefunden.

Danke, ich bin jetzt wach.

Schon in den Minuten des Check-in wird deutlich, welche Herausforderungen an diesem Tag auf den Coach warten würden: Bei all der Nervosität seiner Athleten, mit der er konfrontiert wird, muss er stets einen kühlen Kopf bewahren und Ruhe ausstrahlen. Und das alles bei eigener höchster Anspannung.

Ein letztes Innehalten vor dem Start

Cool bleiben: Harmonie liegt in der Luft. Der Start rückt näher.

Dass Nils sich der Wirkung auf seine Athleten bewusst ist, zeigen auch die letzten Minuten mit Julia. Gemeinsam mit Marcus und der gemeinsamen Tochter ziehen sie sich zurück und entgehen dem wilden Treiben des Jungfernstiegs. Warm-up, Anziehen des Swimsuits, die restliche Zeit bis zum Start überbrücken. Auffällig ist, dass kein Wort zur Taktik fällt und kaum über das Rennen gesprochen wird. Stattdessen scheint Nils zu versuchen, eine konzentrierte und entspannte Atmosphäre schaffen zu wollen. Alle möglichen Rennszenarien ist das Gespann bereits in den Tagen zuvor durchgegangen.

Kurz nach dem Schwimmstart zieht es den 45-jährigen Coach etwa 150 Meter hinter den Ausstieg am Rathausplatz, wo er gemeinsam mit seiner Co-Trainerin Annalena „Annie“ Füllbrandt auf die 12 Athleten wartet, die die beiden gemeinsam mit der Coaching Plattform NGT Training betreuen. Und auch wenn mit acht Startern der Großteil unter der Regie von Annie trainiert, weiß der Headcoach um den körperlichen Zustand und die Geschichte jedes einzelnen und fiebert entsprechend mit.

Mit dem Rad durch Hamburg

Julia legt einen Start nach Maß hin, die gemeinsam mit Caroline Steffen als Führende aus dem Wasser steigt und den ärgsten Konkurrentinnen Susie Cheetham (GBR) und Sarah Piampiano (USA) vier bzw. über neun Minuten Rückstand aufbrummt. Ein erster Punktsieg und Teil von Plan A. Der Trainer ist hochzufrieden.

Mit dem Schwimmausstieg von Julia wird der Tracker angeworfen, um keinen der Age-Grouper zu verpassen. Einer nach dem anderen steigt aus der trüben Alster und nimmt die 185 Kilometer Radfahren mit ganz unterschiedlichen Ambitionen in Angriff. Für manch einen ist es die erste Langdistanz, andere schielen auf einen Slot für die Ironman Weltmeisterschaft auf Hawaii.

Für Nils und Annie geht der Tag jetzt so richtig los: Mit dem Rad geht es knapp fünf Kilometer quer durch die Hafencity an einen Knotenpunkt der Radstrecke. Bei jeweils Kilometer 6, 40 und 87 der beiden Radrunden können die Athleten hier gesehen, angefeuert und instruiert werden. Ein, Dank guter Ortskenntnisse, strategisch kluger Standpunkt für die beiden Trainer und eine gute Möglichkeit, auch das Profi-Herrenrennen zu verfolgen, bei dem Nils Freund und Fan gleichermaßen ist.

Banges Warten auf die Zwischenzeiten

Fortan bestimmt der Athletentracker die Stimmungslage des Trainergespanns. Bange Blicke beim Warten auf die nächste Durchgangszeit und Platzierung erinnern mich an die abendlichen Lottoziehungen – nur ohne Aussicht auf Millionengewinn.

Immer da: Nils weiß genau, wann ihn seine Athleten brauchen und welchen Ton er anschlagen muss.

„YES!“ Kurz muss ich beim emotionalen Ausruf von Nils zusammen zucken. „Julia ist an Caro vorbei!“ Bingo mit richtiger Zusatzzahl bei Kilometer 155. Auf dem technisch weniger anspruchsvollen Abschnitt hat sich Julia an Caroline Steffen auf Platz zwei geschoben. Zweieinhalb Minuten hinter der mittlerweile führenden Susie Cheetham liegend, lässt sie ihren Coach an den ganz großen Coup glauben. Es läuft ganz nach Plan für die 37-Jährige, die als vermeidlich stärkere Läuferin gilt. Auch auf Weltklasse-Läuferin Piampiano beträgt der Vorsprung im Vergleich zur letzten Zwischenzeit fast unveränderte sieben Minuten. Die Rechenspiele beim Trainer beginnen, auch wenn Nils immer wieder auf die wenigen Laufkilometer seines Schützlings hinweist. Und trotzdem: „Die langen Läufe waren alle richtig stark!“

Entscheidungen und Schicksale an der Alster

Nicht für jeden der 12 Athleten ist der 28. Juli 2019 ein Sahnetag. Eine Zeitstrafe fürs Windschattenfahren hat es gegeben. Ein vergleichsweise schlechtes Schwimmen hat Positionen gekostet. Nils und Annie studieren Ergebnisse, Platzierungen und Abstände. Längst hängen die Telefone an Powerbanks und wie bei ihren Athleten, nehmen Belastung und Anspannung zu. Der Blick richtet sich fest auf das Lauffinale entlang der Außenalster.

Day in the life of coaches: Das Smartphone als ständiger Begleiter.

Mit Mineralwasser und Stullen bewaffnet, versammelt sich das Trainer-Duo gemeinsam mit Freunden, Athleten und Bekannten am NGT Training-Hotspot an der Alster. Hier kommen die Starter zwei Mal pro Runde vorbei. Bei Kilometer vier und sieben jeder Laufrunde hat der Coach Gelegenheit, seinen Athleten in die Augen zu gucken und Anweisungen mitzugeben; immer darauf bedacht, stehen zu bleiben und den jeweiligen Läufer nicht zu begleiten. Zu groß ist der Respekt vor empfindlichen Zeitstrafen, die es für „Coaching“ geben kann.

Freud und Leid liegen nah beieinander

Julia kommt als erstes am Hotspot vorbei, wirkt immer noch auf Platz 2 liegend konzentriert und stark. Der Laufstil sieht noch flüssig aus, die Schultern relaxed. So sieht es auch der Trainer. „Sie wirkt sehr fokussiert, hat mir aber kein Feedback gegeben. Ich weiß nicht, ob das ein gutes Zeichen ist, dafür kennen wir uns noch nicht gut genug“, fasst der Coach zusammen, der fortan fast im Minutentakt gefordert ist.

Einer seiner langjährigen Athleten macht Boden gut, läuft erst in die Top-10 seiner Altersklasse, dann in die Top-5. Tobi scheint gut drauf zu sein und ein Ticket nach Hawaii ist in greifbarer Nähe. „Tobi ist eine kleine Wundertüte, weil er in den letzten Wochen unglaublich viel arbeiten musste und dazu noch frischer Papa ist“, hat Nils mir noch vor dem Rennen berichtet. Die Wundertüte hat ganz offensichtlich richtig gute Laufbeine erwischt. Der Puls des Trainers steigt.

Achterbahnfahrt der Emotionen: Nils muss schnell umschalten können, wenn er sich im Rennen nicht nur um unterschiedliche Athleten, sondern auch verschiedene Schicksale kümmern muss.

Weniger gut läuft es für Francois, der ebenfalls schon lange zum Team und engen Freundeskreis gehört. Er liegt hinter den eigenen Erwartungen und bleibt in der dritten Laufrunde schließlich beim Trainer stehen. Die rechte Hüfte macht zu, ein Rennabbruch – so wirkt es in diesem Moment – beschlossene Sache. Francois scheint das Rennen abgeschrieben zu haben. In diesen Augenblicken sind psychologische Fähigkeiten des Trainers gefragt. Eben noch mit lautstarken Anfeuerungen in Richtung Hawaii-Aspirant, ist er nun ruhig und sensibel im Umgang mit seinem Schützling: „Versuch es noch einmal. Und wenn du den Rest locker zu Ende joggst, aber dann bringst du es immerhin nach Hause.“ Gesagt, getan. Nach ein paar Minuten des Zuredens läuft Francois noch einmal an. In drei Kilometern wird er wieder an der gleichen Stelle vorbeikommen. Nils nutzt die Zwischenzeit für einen Appell an die Supporter-Crew: „Wir müssen gleich alle Francois anfeuern, der braucht uns jetzt am meisten!“ Die Ansprache des Trainers und die Unterstützung der Truppe hilft: Francois kämpft sich trotz Problemen durch den Marathon und finisht auf dem Rathausmarkt.

Emotionales Herzschlagfinale

Mir fällt auf, wie individuell und unterschiedlich Nils mit seinen Athleten umgeht. Dass er die Fähigkeit hat in vielen Situationen die richtigen Worte zu finden, weiß ich aus eigener Erfahrung. Dass er aber im Trubel eines Rennens zu jeder Zeit den Überblick behält und jeden Athleten anders anspricht, imponiert mir. Es ist eine Seite des Coachings, die oft unterschätzt wird und für den Athleten doch so unglaublich wichtig ist.

In der vierten Laufrunde ist es dann auch um die Coolness vom Trainer geschehen. Julia wird das Rennen souverän auf Platz 3 beenden, das ist zu diesem Zeitpunkt klar. Deutlich nervenaufreibender ist die letzte Runde für Tobi. Wenige Sekunden trennen ihn von Platz 3 und dem damit sicheren Hawaii-Slot. Nils hat die Abstände und auch den direkten Konkurrenten fest im Blick, schreit seinen Athleten nach vorne, die Ansprache ist laut und direkt. Für taktische Ansagen ist jetzt nicht mehr die richtige Zeit, nur eine laufstilistische Vorgabe hat er noch parat: „Tobi, du bist dran, du musst jetzt durchziehen. Mehr Vorlage, LOS!!!“

Den emotionalen Klimax erreicht der Tag des Coaches bei Kilometer 37, als Tobi in Sichtweite seines Kontrahenten an der Supporter-Crew vorbeiläuft. Den Kopf leicht in den Nacken geneigt, die rechte Hand schlägt bei jedem Schritt aus. Athlet und Coach sind am Anschlag: „Da vorne ist er, im blauen Anzug. Hol ihn dir!!“ Kurz guckt er seinem Athleten hinterher wie er der imaginären Zielscheibe auf dem Rücken seines Konkurrenten hinterher jagt. Dann springt Nils in einer Übersprungshandlung aufs Rad. Ob geplant oder spontan kann ich nicht sagen, aber er spürt in der Situation offenbar, dass sein Schützling ihn noch ein Mal braucht, um den Kampf gegen sich, die Uhr und die Konkurrenz zu gewinnen. Dafür fährt Nils erst einen Kilometer entlang der Alster bis Kilometer 38, danach einen Kilometer vors Ziel, um den Endspurt einzuläuten und Tobi ein letztes Mal direkten Support zu geben.

Kona, Baby!

Es hilft: Tobi rennt auf Platz drei vor und hat seinen Hawaii Slot damit sicher. Zum ersten Mal wird er im Oktober nach Big Island fliegen. An den Ort, auf dem Nils selbst etliche Male als Amateur, Profi und zuletzt als Coach aktiv war und der ihn für seine tägliche Arbeit antreibt. Das merkt man sobald man mit ihm über das legendäre Rennen spricht.

Auch Julia hat mit Platz drei die Qualifikation für die Ironman Weltmeisterschaft der Profis geschafft. Annehmen wird sie den Platz nach einer starken Leistung, vor allem beim Schwimmen und Radfahren, jedoch nicht. Auch hier hat der Trainer, aber auch die Familie, seine Finger im Spiel. Statt der finanziell aufwendigen Reise auf die Pazifik-Insel, präferiert das Team eine Herbst-Langdistanz. „Ich finde ihre Entscheidung gut und es zeigt mir, welchen Anspruch Julia an sich selbst hat. Wenn wir auf das bisherige Training aufbauen können, hat sie das Potenzial auch auf Hawaii wieder vorne mitspielen zu können“, erklärt Nils die Entscheidung aus Trainerperspektive.

Was von diesem Tag bleibt, sind viele individuelle Geschichten, Erfolge und Misserfolge. Die einen haben ihre Erwartungen übertroffen und sich und ihren Trainer überrascht. Andere hatten mit ganz unterschiedlichen Problemen zu kämpfen. Als Beobachter bleibt der Eindruck hängen, mit welch Herzblut und Leidenschaft Nils seiner Arbeit an der Strecke nachgeht. Für ihn sind die Rennen – wie für seine Athleten – die Kür und ein absoluter Feiertag, der mit allem gelebt wird, was zur Verfügung steht. Und noch ein Eindruck bleibt: Die nicht abnehmende Begeisterung für den Triathlon und insbesondere die Langdistanz, die Nils seit mehr als 20 Jahren erst als Rookie, dann als Profi und nun als Trainer lebt. Müsste ich wetten, würde ich mein Geld nicht gegen einen Start von Nils bei einer Langdistanz in den nächsten Jahren setzen. Das Feuer ihn ihm brennt weiterhin. Als Trainer, aber auch als Athlet.

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