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Introvertiert vs. extrovertiert: Wer sind die besseren Triathleten?

27. Mai 2022



Manche brauchen andere um sich herum und Action, um richtig Gas geben zu können, andere schlaucht das total. Wie wirkt es sich auf die Ausdauerleistung aus, wenn jemand eher nach außen oder innen gerichtet ist?

Als im Jahr 2012 das Buch „Still“ von Susan Cain erschien, dürfte es für viele Menschen das erste Mal gewesen sein, dass sie den Begriff „Introvertiertheit“ bewusst wahrnahmen.

Introvertiert bedeutet „nach innen gerichtet“. Introvertierte Menschen fühlen sich durch andere Menschen oder Lärm schneller ausgelaugt, müssen sich dann zurückziehen, um ihre Akkus wieder aufzuladen. Extrovertierte lieben dagegen Aufmerksamkeit, sie ziehen Kraft aus dem Kontakt mit anderen.

Laut Statistik sind je nach Studie, die man heranzieht, in Deutschland 30 bis 50 Prozent der Menschen eher introvertiert, wobei „viele in der Mitte liegen. Es gibt wenige klar intro- oder extrovertierte Menschen“, erklärt Sportpsychologe Dr. Tom-Nicolas Kossak von der Coachingpraxis Sportpsychologie München.

Wettkampf-Junkie oder Trainings-Enthusiast?

Dennoch ist bei den meisten die eine oder andere Tendenz in Bezug auf ihre Verhaltensmuster feststellbar, zum Beispiel über den Eysenck Persönlichkeitstest. Das gilt auch für (Profi-)Triathleten. So sagte Coach Dan Lorang kürzlich in einem Interview über seine Schützlinge, die Ex-Ironman-Weltmeister Anne Haug und Jan Frodeno:

„Jan ist sicherlich eher extrovertiert und Anne eher introvertiert. Sie bräuchte keinen Wettkampf mit anderen Athletinnen, sondern ist schon glücklich, wenn sie einfach nur trainieren kann. Würde sie jemand fürs Training bezahlen, würde ihr das vollkommen reichen. Jan dagegen braucht den Wettkampf Mann gegen Mann.“

Dass zwei gegensätzliche Persönlichkeiten ähnlich erfolgreich im gleichen Sport sind, mag zunächst überraschen. Schließlich wäre doch anzunehmen, dass introvertierte Menschen sich eher Einzelsportarten aussuchen und darin brillieren, während Extrovertierte sich in Teamsportarten austoben und dort zeigen, was sie können.

Dem ist aber nicht so, wie beispielsweise eine psychologische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020 bestätigt, in der es heißt: „Unsere Analyse verschiedener Studien fand keine Anhaltspunkte dafür, dass Extrovertierte sich eher für Teamsportarten entscheiden.“

Es geht um den Zusammenhalt

Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen liefert Sportpsychologe Kossak, denn: „Man muss unterscheiden zwischen Persönlichkeitsstruktur und Anschlussmotiv.“ So gefällt einem introvertierten Menschen durchaus der Zusammenhalt in einem Verein oder einer Trainingsgruppe. Er möchte Anschluss.

Allerdings wird er oder sie sich in der Gruppe anders verhalten als ein extrovertierter Sporttreibender und möchte sich beispielsweise vielleicht nicht an Aktivitäten wie dem Kuchenverkauf beim Sommerfest beteiligen oder bei der gemeinsamen Radausfahrt die Verantwortung für die Streckenauswahl übernehmen.

Drängen ihn die Vereinskollegen dazu, mehr aus sich herauszugehen – und sei es aus bester Absicht heraus –, kann dies den introvertierten Sportler überfordern. Er braucht eine Pause. Wird er immer wieder (seinem Empfinden nach) bedrängt, tritt er eventuell sogar aus dem Verein aus und meidet die Gruppe. Ihn erschöpft es, das Gefühl zu haben, „sich zeigen zu müssen“.

Den optimalen Reizzustand finden

Dass der Extrovertierte die Aufmerksamkeit liebt, es mag, wenn er von den Vereinskollegen gepusht wird oder eine Führungsrolle einnehmen darf, während das der blanke Horror für den Introvertierten ist, liegt am sogenannten Arousal. Dieser Begriff beschreibt einen Erregungszustand, der durch Umweltreize entsteht, und jeder Mensch strebt unbewusst nach dem für sich optimalen. Für tendenziell extrovertierte Menschen ist der optimale Erregungszustand eher hoch, für introvertierte Personen ist das „Wohlfühl-Arousal“ eher niedrig.

Entsprechend sinnvoll könnte es sein, die Erregungstoleranz nicht nur in Bezug auf das Trainingsumfeld, also Gruppe oder Verein, zu berücksichtigen (Darf ich ruhig sein, muss ich mich ,vorn hinstellen‘?), sondern auch im Hinblick auf das Training: „Es ist durchaus möglich, dass ein introvertierter Athlet hier eine andere Reizschwelle hat als ein extrovertierter“, sagt Sportpsychologe Kossak. „Bei einem Extrovertierten sind unter Umständen mehr Reize möglich, während bei einem introvertierten Sportler schon kleine Impulse reichen, um ihn zu aktivieren.“

Zudem dürfte ein Coach eher zu einem introvertierten Triathleten durchdringen, wenn er in Ruhe und zu zweit mit ihm spricht. Einem extrovertierten Sportler kann er hingegen gern auch mal „in den Arsch treten. Ihm fällt es leichter, auf lockerer, flapsiger Ebene Rat und Kritik anzunehmen“. Im Wettkampf selbst kann es dagegen passieren, dass ein an sich introvertierter Sportler merklich aus sich herausgeht.

Schlummernde Vulkane

Zum einen, da es nicht ungewöhnlich ist, dass ein introvertierter Mensch über Leistung „vorweggeht“, wie Tom Kossak es ausdrückt. Zum anderen, so der Sportspsychologe, finde das Verhalten im Rennen auf Temperamentsebene statt, „über die körperliche Aktivierung kommt der Athlet ins intuitive Verhalten. Dort sind Emotionen vorhanden, die zum ,Ausbruch‘ führen“.

Den umgekehrten Fall, dass ein extrovertierter Athlet im Wettkampf zum Mäuschen wird, hat es der Experte noch nicht erlebt. Allerdings hat er beobachtet, dass Extrovertierte in eine – wie er es nennt – destruktive Ruhe verfallen, wenn sie sich hilflos fühlen. Soll heißen: „Wenn ihre Mittel, um sportliche Leistung zu bringen, nicht mehr funktionieren, oder die Taktik nicht aufgeht, kippen auch extrovertierte Sportler mitunter in eine Rückzugphase. Sie reden dann negativ mit sich und verlieren das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.“ Mit Introvertiertheit habe das aber nichts zu tun.

Als einen weiteren Grund dafür, dass sowohl introvertierte als auch extrovertierte Athleten im Triathlon erfolgreich sein können, führt Tom Kossak an, dass es in diesem Sport darum gehe, inneren Fokus zu haben und nicht, sich in erster Linie nach außen zu zeigen – das können beide Persönlichkeitstypen bewerkstelligen.

Auch wenn der Extrovertierte vielleicht eher die Zuschauer aktiv zum Anfeuern anstachelt und als „emotional leader“ agiert, während der Introvertierte lieber in aller Stille sein Ding macht und wenn, dann über die Leistung eine Vorbildfunktion einnimmt. „Wenn das Setting stimmt und Vertrauen da ist, geht auch ein introvertierter Athlet aus sich heraus“, weiß Sportpsychologe Kossak.

Das Ziel ist entscheidend

Auch über längere Zeit hinweg tut Sport (nicht nur) Introvertierten gut. Denn er „erhöht nicht nur das körperliche Wohlbefinden, sondern auch das psychische“, schreiben beispielsweise die Autoren des Buches Educating the Student Body – und auch unsere Autorin Lena hat sich kürzlich diesem Thema gewidmet. Sport und sportliche Erfolge machen Sportler unter anderem selbstbewusster und lassen Athleten eher in soziale Interaktion gehen. Obwohl diese Interaktion im Fall eines eher introvertierten Menschen anders ausfallen dürfte als die eines extrovertierten.

Schlussendlich ist es aber auch gar nicht das entscheidende Kriterium, ob jemand allein oder im Verein trainiert, ob er jede Einheit auf Social Media teilt oder im Stillen vor sich hinwerkelt: „Viel wichtiger ist es, ein Ziel zu haben, in dem man sich wieder findet“, ist Tom Kossak überzeugt. Denn: „Nur dann kann man in seinem Sport aufgehen, ohne auszubrennen.“

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