NAT – Neuroathletik für Ausdauersportler: Die Assessments
02. Juli 2020
Wie sich die Propriozeption auf unsere Bewegungsausführung auswirken kann, haben wir im letzten Beitrag der Serie über Neuroathletik erfahren. Aber wie können wir testen, ob und wie stark sich diese auf unseren Körper auswirkt? Eine höhere Aktivierung unserer motorischen Hirnareale klingt erstmal gut, ist dann aber doch erstmal nur theoretisches Wissen. Inwieweit kann ich dies für mich selber anschaulich machen oder überprüfen?
Um das zu erklären, müssen wir uns nochmal klar machen, inwieweit Propriozeption unsere Bewegung beeinflusst. Stellen wir uns vor, wir haben kein Gefühl und bekommen keine Rückmeldung von unserem Körper. Wir spüren also nicht was passiert. Das ist auch immer dann der Fall, wenn uns das Bein oder der Arm einschläft. Niemand käme dann auf die Idee gleich irgendwohin loszulaufen oder etwas hochzuheben. Wir würden erst einmal langsam „testen“, wie weit wir das Bein oder den Arm wieder bewegen oder belasten können.
Ähnlich verhält es sich, wenn wir uns einschwimmen und sich das Wassergefühl erst langsam über ein paar Minuten entwickelt. Wir fühlen uns bis dahin steif und etwas unsicher. Umso mehr wir aber unsere Bewegungen spüren, umso freier und entspannter werden unsere Bewegungen.
Das Gehirn checkt dabei immer ab, ob es eine sichere Bewegung in einem sicheren Umfeld gewährleisten kann. Wird dies durch unsere Sinneswahrnehmungen registriert, gibt das Gehirn die Bewegungssignale ohne Beschränkung frei.
Dieses Freigeben von Bewegungen können wir testen. Dafür haben sich in der Neuroathletik einige simple Tests etabliert. Diese Tests werden dort als sogenannte Assessments beschrieben. Im Folgenden werde ich einige dieser Tests aufzeigen, Du kannst sie natürlich gerne nachmachen und selbst ausprobieren.
Wichtig dabei ist, dass die Assessments immer unter den gleichen Vorraussetzungen ausgeführt werden. Versuche bei den Übungen den maximalen (sauberen) Bewegungsauschlag für ein bis zwei Sekunden zu halten um dir diesen einzuprägen und anschließend zu notieren.
Die Rumpfvorbeuge
Stelle Dich hüftbreit und kippe mit der Hüfte nach vorne. Versuche dabei entweder den Rücken gestreckt zu lassen oder ihn zu beugen.
Seitliches Aufdrehen
Drehe den Oberkörper aus dem Stand nach rechts und links. Halte die Hände mit gestreckten Armen vor dem Brustbein in einer Pistolenstellung. Der Blick bleibt während der Bewegung auf den Daumen gerichtet.
Schulter aufdrehen
Rotiere die Schulter nach innen und nach außen. Du führst dafür die Hände in einem Bewegungsradius von 180° seitlich deines Körpers auf und ab. Die Arme bleiben dabei im Ellenbogengelenk 90° gebeugt.
Armstreckung über Kopf
Strecke den Arm über den Kopf und versuche ihn möglichst weit nach hinten zu bewegen. Mache dies auf beiden Seiten.
Rumpfneige mit Überkopfstreckung des Armes
Nimm deinen Arm seitlich über den Kopf und versuche dich so weit wie möglich zur Seite aufzudrehen. Auch dies kannst du zu beiden Seiten machen.
Kraftübung
Halte einen schweren Gegenstand auf Schulterhöhe und hebe ihn gerade bis zur senkrechten Armhaltung nach oben. Wiederhole diese Übung zwei bis drei Mal und notiere, wie schwer oder leicht dir diese Übung gefallen ist.
Veränderungen feststellen
Um einen Ausgangswert zu haben, werden die Assessments einmal vor Beginn der Übung getestet. Anschließend wird unmittelbar nach den Übungen wieder getestet, um eine Veränderung der Beweglichkeit oder Kraft festzustellen.
Nicht immer verbessern sensorische Übungen den Bewegungsradius oder unser Kraft. Bei Verletzungen kann es beispielsweise zu einer Verschlechterung in der Beweglichkeit kommen. Dabei schützt sich der Körper vor weiteren Verletzungen und versucht das entsprechende Gelenk zu blockieren.
Je nachdem wie wir auf einen Reiz oder eine Übung reagieren, kategorisieren wir diese in Aufarbeitung (geringeres Bewegungsausmaß), neutrale (keine Veränderung) oder High Performance (mehr Bewegungsausmaß).
Die beschriebenen propriozeptiven Übungen können natürlich entsprechend dieser Kategorien angepasst und ausgeführt werden, außerdem lassen sie sich nahezu unbegrenzt erweitern. In den kommenden Artikeln werde ich auch noch weitere Anwendungsbereiche im Bereich von Gleichgewichts- und Sehübungen aufzeigen und erläutern. All diese Assessments können uns dabei helfen, unsere Stärken und Schwächen herauszufiltern, sowie Übungen aufzeigen, die unsere Wahrnehmungen schärfen und uns damit leistungsfähiger machen.
Stärken und Schwächen kennen, verbessern und nutzen
Aus den High Performance Übungen können wir beispielsweise eine Vor-Wettkampf- oder Vor-Trainings-Routine entwickeln, um unser Nervensystem auf die bevorstehende Aufgabe vorzubereiten. Wir können die Übungen also als eine Art Warm-Up für die Sinne bezeichnen.
Die Aufarbeitungsübungen entsprechen unseren „Schwächen“. Sie vermindern unsere Bewegungen oder unsere Kraft, da unser Nervensystem keinen akkuraten Input erhält. Sei es durch Verletzungen, ungewohnte Bewegungen oder überreizenden Sensorik – wir reagieren mit Stresssymptomen.
Diese Symptome sind Ausdruck für falsche, unvollständige oder fehlende Wahrnehmungen. Auch unterschiedliche Sinneseindrücke, wie sie beispielsweise bei der Seekrankheit auftreten, bedeuten Stress für unseren Köper. Der Körper muss demnach raten, ob er dem Gleichgewicht oder dem Auge vertraut und hat kein akkurates Bild mehr über seine Bewegungen und seine Sensorik. Indem wir dem Körper jedoch immer wieder bestimmten Aufarbeitungsübungen aussetzen, lernt unser Nervensystem dazu. So können durch regelmäßiges Üben solche Fähigkeiten verbessert und sogar zu High Performance Übungen entwickelt werden.
Fokus auf die wichtigen Assessments
Falls die Übungen keinen „Effekt“ auf den Körper haben, heißt dies nicht, dass wir sie nicht trotzdem in unser Training einbauen können. Da wir meistens immer zeiteffizient arbeiten wollen, macht es Sinn, sich auf die High Performance Übungen und die Aufarbeitungsübungen zu beschränken. Am besten testet ihr eure Übungen regelmäßig durch und passt euer Trainingsprogramm dementsprechend an.
Durch regelmäßiges Training werdet ihr auf lange Sicht nicht nur eine Verbesserung der Assessments, sondern eurer Bewegungsausführung und damit vielleicht auch eurer sportlichen Leistungsfähigkeit feststellen. Auch können so Überlastungen von Muskeln, die andere – nicht gut angesteuerte Muskeln kompensieren – vermieden werden.
Im nächsten Teil der Neuroathletik-Serie werden wir uns mit dem Gleichgewichtssinn beschäftigen. Gerade im Schwimmen, bei nur eingeschränkter Sicht und häufig unzureichender Propriozeption, ist dieser Sinn von zentraler Bedeutung für unsere sichere Wahrnehmung und damit unsere Schwimmtechnik.
Neuroathletik Training – Die Serie von Johann Ackermann
- Teil 1 // Neuroathletik: Besser Schwimmen durch die Kraft der Sinne?
- Teil 2 // Neuroathletik im Schwimmen: Das Propriozeptive System
- Teil 3 // Neuroathletik für Ausdauersportler: Die Assessments
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