Blood Flow Restriction Training im Triathlon: Zwischen Chancen und Risiken
25. März 2021
Schnelles Muskelwachstum dank niedrigintensivem Training – das Prinzip des unter Kraftsportlern bekannten „Blood Flow Restriction“-Trainings klingt auch für Triathleten nicht uninteressant. Tatsächlich findet es im Profisport deswegen längst Anwendung. Nachmachen für Agegrouper erlaubt? Klare Antwort: Jein.
Sichtlich erschöpft sitzt Laura Philipp auf dem Boden. Knallharte Sprintintervalle mit gut 10 Watt pro Kilogramm liegen hinter ihr. Und als ob die noch nicht gereicht hätten, folgten darauf Kniebeugen mit Langhantel auf den Schultern. Doch den entscheidenden Part ihres heutigen Blood Flow Restriction Trainings leistet sie genau jetzt ab. Angelehnt an der Wand, auf dem Boden sitzend – während ein Handtuch ihre Beine bedeckt. Das bewahrt nicht nur sie, sondern auch die Kamera vor dem Blick auf ihre bläulich anlaufenden unteren Extremitäten und sich abzeichnende Venen.
Blood Flow Restriction, kurz BFR: Der sperrige Begriff dürfte aufmerksamen Zuschauern des letzten Vlogs der Profi-Triathletin nicht entgangen sein. Und vermutlich hat er bei dem einen oder anderen für Fragezeichen gesorgt. Für Laura und ihren Trainer Philipp Seipp ist er hingegen Alltag: Seit nunmehr sechs Jahren wendet der Top-Coach die Methode an – bei all seinen Athleten. Damit ist der Triathlon-Visionär so manchem Kollegen nicht nur einen Schritt voraus. Er ist vor allem in einer Liga unterwegs, die Hobbyathleten nicht uneingeschränkt zugänglich ist. Das ist beim Blood Flow Restriction Training vielleicht auch ganz gut so. Denn die Methode ist nicht ungefährlich, wenn auch chancenreich. Oder um es mit Seipps Worten zu sagen: „Es ist ein wirkmächtiges Tool und keine Homöopathie.“
Was ist Blood Flow Restriction Training (BFR)?
Aber bevor wir uns der Anwendung im Spitzensport widmen, schauen wir uns die Basis an: Was ist BFR-Training überhaupt? Die Antwort findet sich im Namen selbst: Es handelt sich um Training mit „eingeschränktem Blutfluss“. Erzielt wird das durch Manschetten, die nahe am Muskelursprung bei geringem Tonus angebracht werden, sodass sie unter Kontraktion dann für einen verlangsamten Blutrückfluss in den Venen sorgen. Was das bringen soll? Auf die kurzzeitige Unterversorgung mit Sauerstoff reagiert der Körper mit erhöhter Ausschüttung von Wachstumshormonen. Der Anpassungsreiz im Muskel wird durch das Abklemmen also verstärkt – und das Muskelvolumen somit auf ganz natürliche Weise vergrößert.
En detail: Um das 290-fache soll die Konzentration des Wachstumshormons durch den eingeschränkten Blutfluss erhöht werden, wie unter anderem ein Ausbildungsportal berichtet. Ein stattlicher Wert. Und ein Wert, der zum Nachmachen einlädt. Doch die Methode ist mit Vorsicht zu genießen. „Nicht unterschätzen sollte man, dass gerade die Sprints und die Ausbelastung vorher sehr belastend für das Herz-Kreislauf-System sind“, erklärt Philipp. Ronald Piel, Inhaber eines Fitnessstudios in Neuss, pflichtet ihm in puncto Risiko bei: „Die größte Gefahr ist eine Unterversorgung durch Verringerung der Blutzufuhr. Menschen mit Vorerkrankungen sollten BFR-Training definitiv nicht ausführen. Unter anderem können Gefäße dabei Schaden nehmen.“ Und klar: Da nicht jeder über seine persönlichen Risikofaktoren (z.B. Krankengeschichte in der Familie) im Bilde ist, sollte die Konsultation eines Arztes dem blinden Lostrainieren vorgezogen werden.
Lese-Tipp für (noch) mehr Muskeln:
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Blood Flow Restriction Training: Wer hat’s erfunden?
Zu finden ist das BFR-Training auch unter dem Begriff Kaatsu-Methode. Auch die nötigen Bänder tragen den Beinamen, der zugleich Rückschluss auf die Ursprünge zulässt: Die liegen in Japan, genauer gesagt bei Dr. Yoshiaki Sato. Bereits Mitte der 1990er-Jahre meldete er Patent an. Zunächst galt letzteres für die Bänder, daraus entwickelte sich aber eine ganze Trainingsbewegung. So gibt es heute verschiedene Ansätze bei der Gestaltung der Trainingseinheiten (siehe unten: So läuft BFR-Training ab).
Das Thema findet inzwischen in zahlreichen Bereichen Beachtung. Sportmediziner Uwe Tegtbur merkt in seinem 2020 im Fachmagazin „Der Unfallchirurg“ veröffentlichten Beitrag dazu an, dass die Zahl der wissenschaftlichen Studien zum Training unter BFR stark zugenommen habe.
Blood Flow Restriction Training: Im Bodybuilding gängige Praxis
Wer den Begriff Blood Flow Restriction Training in das Google-Suchfeld eingibt, bekommt in 0,7 Sekunden über 16 Millionen Ergebnisse geliefert. Insbesondere im Bodybuilding wird die Methode schon lange gehypet und auch unter Okklusionstraining geführt. Versprochen wird neben den Bildern von aufgepumpten Bizeps-Hügeln und voluminösen Beinen im „Shredded“-Look ein „schnellerer Muskelaufbau“ sowie „Bestform trotz Verletzung“. Und natürlich finden sich zahlreiche Möglichkeiten, direkt ein Paar der nötigen Manschetten zu kaufen – zu erschwinglichen Preisen über die üblichen Retailer.
Doch Philipp Seipp weiß die Freude zu bremsen, die Schnäppchenjäger an der Stelle überkommen könnte. Natürlich gebe es Bestrebungen, das Ganze zugänglich zu machen. Doch das bringe einige Gefahren mit sich, wie der Coach von Laura Philipp, Sebastian Kienle und weiteren Top-Athleten warnt: „Die Manschetten können zwischen 2.500 und 25 Euro kosten – und man braucht tatsächlich nicht die ganz teuren. Aber es ist wichtig, dass die Manschetten gleichmäßig abdrücken und handwerklich gut verarbeitet sind. Das kann es für 25 Euro nicht geben. Wer hier auf geringe Qualität setzt, spielt mit seiner Gesundheit.“
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Spannend: Blood Flow Restriction Training im Reha-Sport
Und apropos Gesundheit: Bei all der zu wahrenden Vorsicht kann die Methode gerade im Gesundheitssport ein Schlüssel zum Erfolg ein. Oder besser gesagt zur Erholung nach Verletzungen, Operationen, Unfällen – insbesondere bei Patienten im fortgeschrittenen Alter. Was für die Bodybuilder als Argument zum Pumpen gilt, macht man sich in der Reha-Therapie zunutze: Eine Besonderheit des BFR-Trainings ist, dass nur geringe Gewichtsbelastungen nötig sind, um die gewünschte Muskelhypertrophie zu erreichen. Es handelt sich somit um „niedrigintensives Krafttraining mit 20-50 % des 1-Repetition-Maximums“, wie in Fachmedien beschrieben wird. Bei chronischen Gelenkbeschwerden und bei Patienten jenseits der Alterskohorte „Junge Hüpfer“ wird, anders gesagt, also weniger Aufwand nötig, um den Muskel mehr zu triggern.
Auch spannend: „Blood Flow Restriction Training wird bei Transplantationspatienten eingesetzt. In diesem Fall wird im Arm eine Ischämie (A. d. R.: Blutleere) erzeugt, um Wachstumshormone auszuschütten. So sollen Organe besser anwachsen, ohne dass eine Verabreichung von Medikamenten nötig ist“, berichtet Seipp. Dieser Aspekt spricht auch Vertreter aus der gesundheitsorientierten Fitnesswelt an. Piel sieht in der geringen Gewichtsbelastung eine Chance – zugleich im Amateur-Sport aber eine weitere Gefahr: „Viele werden vermutlich zu intensiv trainieren, also nicht nur bei 20 bis 30 Prozent der Maximalkraft bleiben.“
So läuft Blood Flow Restriction Training ab
Tja, und was heißt das alles nun für Triathleten? Machen oder lassen? Für die Idee, Muskelwachstum im Triathlon-Training mitzudenken, gibt’s jedenfalls Lob aus der Kraftsportecke: „Gut finde ich, dass sich ein Triathlon-Trainer Gedanken über Muskelwachstum macht – das hätte es vor zehn Jahren nicht gegeben“, resümiert Ronald Piel. „Ich sehe das als Beleg dafür, dass die Relevanz von Muskeltraining nicht nur für die Leistungsverbesserung, sondern auch für die Gesundheit erkannt wurde.“
Bleibt nur noch die Frage: Wie sieht eine BFR-Einheit aus? Wer ein detailliertes Set aus den Trainingsplänen der „Seipp Squad“ erwartet, dürfte nun enttäuscht sein. Philipp ist kein Fan von zu viel Transparenz – zumindest nicht beim BFR. Was er verrät: „Wir starten mit einem Sprintintervall-Set, das zwischen sechs und zehn Sprintabschnitte mit kurzen Abgängen umfasst, dann folgen Kniebeugen.“ Die Manschetten bleiben angelegt, während der Athlet eine Zeit lang sitzt, bevor der Trainer die Manschetten löst. Alles passiert somit unter Aufsicht. Hobbyathleten dürften schon an diesem Punkt scheitern, wenn sie nicht gerade gänzlich kopflos unterwegs sind.
Die Gestaltung der Einheiten ist grundsätzlich höchstindividuell. Das gilt auch bei Seipps Profis. „Florian Angert reagiert ganz anders darauf als Laura. Während bei Flo relativ wenig Reiz genügt, muss ich bei Laura viel mehr dafür geben, dass sie Muskelmasse aufbaut. Woran das genau liegt, kann ich dir nicht mit Sicherheit sagen“, führt er aus. „Das allein mit Verweis auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu erklären, reicht nicht – diese Reaktionen sind wesentlich vielschichtiger.“
5 Fragen zum Blood Flow Restriction Training an Philipp Seipp
Warum bist du vom BFR-Training überzeugt?
Philipp: Die meisten Menschen trainieren zu viel. Das gilt gerade in Deutschland – nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Theorien, die dazu kursieren. Ich erlebe es sowohl im Top-, als auch im Altersklassensport, dass die Menschen zu viel das Falsche trainieren. Dadurch kommen unfassbare Verletzungen zustande. Im Klartext: Menschen trainieren Dinge, die sie nicht regenerieren können. Und in genau diesem Kontext sehe ich die große Chance des BFR: Es muss sehr wenig trainiert werden, um sehr gute Effekte zu erzielen. So bleibt Zeit für die Regeneration. Gesund ist es nicht, morgens mit BFR zu trainieren und dann zehn Stunden arbeiten zu gehen. Kurzum: Es muss wirklich aktiv geplant werden, damit es sinnvoll ist – und man sollte wissen, womit da hantiert wird.
Wie und wann wendest du BFR-Training bei deinen Athleten an?
Philipp: In Bezug auf die submaximalen Belastungen sind Triathleten alle Meister: Man gibt sehr viel dafür, den Muskel zu reizen, sodass dieser sich anpassen muss und ein Leistungszuwachs dabei herauskommt. Natürlich kannst du das mit einer vier-, fünfstündigen Radausfahrt machen – oder du kannst das Ganze ad hoc erreichen. Wie so häufig gilt: Die Mischung macht’s. Wenn ein Athlet zum Beispiel aus einem Umfangsblock kommt, macht es Sinn, so etwas wie BFR einzubauen. Den deutlichsten Abtrag erkennt man dann in Richtung der Laktatbildungsrate: Sie sinkt deutlich. Die Methode ist somit ein klarer Ökonomisierungsreiz, bei dem der Körper auf solche hochintensiven Sachen reagiert.
Was es dabei allerdings zu beachten gilt: An solchen Tagen passiert bei meinen Athleten auch nicht viel anderes nach der BFR-Einheit. Es braucht also auch die Disziplin, sich zu bremsen. Gesund ist es nämlich nicht, morgens mit BFR zu trainieren und dann zehn Stunden arbeiten zu gehen. Kurzum: Es muss wirklich aktiv geplant werden, damit es sinnvoll ist – und man sollte wissen, womit da hantiert wird.
Kannst du beschreiben, wie sich das Sperren anfühlt?
Philipp: Da hat jeder seine persönlichen Ansichten. Die hochintensive Belastung bei den Sprints ist meiner Meinung nach aber wesentlich schlimmer als das Sperren: Bei 10 bis 12 Watt pro Kilogramm bist du spätestens nach dem dritten 20-Sekunden-Sprint am Limit, was die maximale Sauerstoffaufnahme angeht. Sich da noch einmal so zu fokussieren, diese 20 Sekunden auf höchstem Limit durchzufahren, finde ich daran das wirklich Beeindruckende. Der Kniebeugen-Part, der mit den Manschetten durchgeführt wird, ist dann deutlich länger: im Schnitt etwa zwei Minuten. Da die Kniebeugen ohne Pause sofort an die Sprints angeschlossen werden, ist der Ischämie-Reiz deutlich höher.
Die Kombination aus Krafttraining und einem Puls zwischen 170 und 190 ist eine fiese Kombination: Wenn du dich dann hinsetzt, abwartest, sich der Puls wieder beruhigt und du die Manschette schließlich wieder öffnest, springt dein Herz plötzlich von 140 auf 170 Schläge – obwohl du sitzt. Das passiert, weil du sauerstoffarmes Blut in Richtung Herz lässt und das ist der biochemische Trigger, dass es wieder schlägt. Ich kündige es deswegen auch an, bevor ich die Manschette öffne. Wenn du das nicht angeleitet machst, kann das richtig daneben gehen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass du dir durch zu langes, zu intensives Radfahren ebenso vieles verhagelst.
Was hältst du im Kontext dieser enormen Effekte von Aufrufen an Amateure à la „Probiert’s doch einfach mal aus!“?
Philipp: Durch Kickass habe ich zum ersten Mal auch mit Altersklassen-Athleten zu tun. Also kann ich mir nur zu gut vorstellen, dass es ausprobiert wird. Nur: Wenn du das nicht angeleitet machst, kann das richtig daneben gehen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass du dir durch zu langes, zu intensives Radfahren ebenso vieles verhagelst – bei Frauen betrifft das zum Beispiel den Zyklus.
Das heißt, viele machen sich einen solchen Stress, dass sie sich dadurch kaputt machen. Und noch schlimmer finde ich es, wenn das auch noch angeleitet durch Trainer passiert. Vergleichst du das mit dem BFR, ist das ähnlich, nur kann es schneller schiefgehen. Das Fiese ist also: Das eine ist ein langes Dahinsiechen, das andere ein abrupter Fehler. Ich würde also immer sagen „Lass es dir zeigen!“ – aber das gilt sowohl für das lange Training, als auch für so etwas wie das BFR.
Wie bewertest du die Studienlage zum Thema?
Philipp: Es gibt Länder, in denen man wesentlich weiter ist. Und dass es funktioniert, zeigt sich allein durch die Verwendung im Bodybuilding – nicht erst seit zehn Jahren. Da finde ich es viel dramatischer, dass wir viele Ausdauersportstudien haben, die einfach in den Alltag eines Altersklassenathleten übertragen werden, dabei aber Drittvariablen außer Acht lassen. Zu denken, das könnte den gleichen Effekt erzielen, ist hochgradig naiv. Das sieht man in der Sportwissenschaft immer wieder.
Sehr, sehr gut ist übrigens belegt, was bei Ischämie im Muskel passiert: Das Ganze ist ein Trigger für hormonelle Ausschüttungen und biochemische Reaktionen. Das ist weit besser untersucht als vieles anderes. Die Frage ist doch, was Mitochondrien zum Wachsen brauchen – und das weiß man, das ist gut erforscht. Das BFR ist im Kern also nicht sensationell, sexy oder martialisch.
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