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Zwift & Co.: Was bringen soziale Trainings-Plattformen?

28. April 2021


Zwift Training

Online-Trainingsangebote boomen. Sogar ein Wettkampfformat, die Arena Games der Super-League-Triathlon-Serie, findet zu zwei Dritteln auf dem virtuellen Crit-City-Kurs statt. Klar, Zwift & Co. machen Spaß. Aber machen sie auch schnell?

„Ich bin nicht auf Zwift“, eine Aussage, die in Triathletenkreisen ähnlich mitleidig-verständnislos zur Kenntnis genommen wird wie sonst nur „Ich habe kein Handy“ oder „Ich kann nicht Monopoly spielen“.

Zwift hinterfragt man nicht, Zwift macht man; und die Corona-Pandemie hat dem kalifornischen Unternehmen nochmal einen ordentlichen Schub verpasst: Wie die Werbe- und Marketingfachzeitschrift Horizont in einem Online-Beitrag vom November 2020 berichtete, hat sich die Zahl der Nutzer im vergangenen Jahr insgesamt fast verdoppelt, in Deutschland sei sie innerhalb von sechs Wochen um 61 Prozent gestiegen. Laut Branchendienst BikeBiz waren schon im Frühjahr 2020 in den virtuellen Welten insgesamt rund 200 Prozent mehr Meilen pro Tag geradelt worden.

Zwift ist kein Einzelphänomen: Virtuelle Trainingsplattformen und die dazugehörige Hardware boomen seit der ersten Virus-Welle im Frühjahr 2020; also seit einem Zeitpunkt, an dem man sonst den Rollentrainer wegpackt und wieder draußen fährt.

Indoortrainer: begehrtes Gut

Das Marktforschungsinstitut NPD Group ermittelte, dass allein im März und April vergangenen Jahres die Verkaufszahlen für Rollen- und Smarttrainer in den USA um 415 Prozent gestiegen sind, der deutsche Versandhändler Rose berichtete gegenüber dem BIKE Magazin, dass er mit Rollentrainern im März 2020 im Vergleich zum Vorjahr um die 1500 Prozent mehr Umsatz gemacht habe und Wartezeiten von vier bis sechs Wochen durchaus vorkamen.

In Foren suchten Rollenfahrwillige verzweifelt nach Möglichkeiten, noch irgendwo einen Smarttrainer herzubekommen und Garmin, die im Februar 2019 Tacx übernommen und damit den Smarttrainer-Markt betreten hatten, vermeldeten im April 2020 im Fitnesssegment ein Verkaufsplus von 24 Prozent, was laut Unternehmen unter anderem vor allem „auf die Beiträge von Tacx“ zurückzuführen sei.

Was bringt soziales Indoortraining?

Super für die Anbieter und Hersteller, aber was ist mit den Athletinnen und Athleten? Was bringt ihnen das Trainieren und Wettkämpfen indoor, als Avatar ihrer selbst?

„Das kommt ganz auf den Sportler oder die Sportlerin an“, sagt Dan Lorang, Trainer der beiden Ironman-Weltmeister 2019, Jan Frodeno und Anne Haug, sowie Head Coach des UCI World Teams Bora Hansgrohe. Er selbst setzt virtuelle Plattformen nicht explizit fürs Training seiner Schützlinge ein, weiß aber, dass diese Zwift & Co. durchaus nutzen, um Rolleneinheiten etwas abwechslungsreicher zu machen.

„Ich denke, meine Radprofis, die anders als die Triathleten nur sehr ungern auf die Rolle gehen, nutzen solche Möglichkeiten als Mittel zum Zweck, wenn das Wetter schlecht ist und sie entsprechendes Training fahren müssen.

Dann ist es nett, das auf einer Plattform zu machen, wo etwas mehr passiert als das eigene Training. Bei lockeren Einheiten werden sie auch kommunizieren, aber die Motivation ist nicht, auf Strava oder Zwift an einem Event teilzunehmen oder jemand zu treffen“, erzählt Dan Lorang.

Zielgerichtet oder spaßorientiert?

Das bestätigt Triathlonprofi Nils Frommhold. Er ist seit einem Jahr auf Zwift und nach anfänglicher Skepsis nun doch begeistert: „Ich dachte, virtuelle Trainingswelten würden mir keinen Mehrwert bringen, da ich feste Trainingsprogramme nach dem Plan meines Trainers fahre. Inzwischen lasse ich aber diese Einheiten, wenn ich sie indoor fahre, alle über Zwift laufen.

Da habe ich ein visuelles Ziel, an das ich mich rantasten kann, eine Art Fortschrittsbalken, ich bekomme akustische Signale und es ist ein bisschen abwechslungsreicher als reines Rollentraining. Ich kann mir das ohne Optik gar nicht mehr vorstellen. Rennen auf Zwift begeistern mich allerdings weniger.“

Damit scheint er in guter Gesellschaft zu sein: Der Anspruch an das virtuelle Indoor-Training sei im Profibereich kein sozialer, sondern der, die Einheit so effektiv wie möglich zu gestalten, sagt Dan Lorang. Das heißt: sich genau an die im Trainingsplan vorgegebenen Werte zu halten.

„Es gibt Ausnahmen, wo jemand fragt, ob er an einem Rennen oder einer Ausfahrt teilnehmen kann, und ab und zu ist das auch ok. Ich persönlich bin aber kein Fan davon, sowas regelmäßig zu machen, weil das schnell auch mal in einen Wettkampf ausartet und das selten gut ist für den langfristigen Leistungsaufbau“, so der Weltmeister-Coach.

Besser werden: geht, mit Disziplin

Das gilt auch für ambitionierte Agegrouper, die sich gezielt auf einen Wettkampf vorbereiten möchten. Dann heißt es: Den Ehrgeiz einpacken, dem Herdentrieb widerstehen und sein Ding machen, denn, mahnt Dan Lorang, „es bringt ja nichts, im Training Bestwerte auf der Rolle zu fahren und im Wettkampf dann komplett ausgelaugt zu sein.“

Wer sich jedoch an seine individuellen Vorgaben hält, scheint seine Leistung durchaus virtuell und indoor steigern zu können. In einer kleinen Studie (die in Zusammenarbeit mit Zwift entstand), konnten die 20 Probanden innerhalb von vier Wochen strukturierten Trainings mit Zwift ihre FTP von 251 Watt (± 38 W) auf 272 Watt (± 40 Watt) erhöhen.

Sie gaben außerdem an, dass ihre Motivation höher sei als vor Beginn des plattformbasierten Trainings, allerdings fühlten sich die Testfahrer auch etwas müder. Das mag einerseits am Trainingsinhalt liegen, andererseits aber auch daran, dass die Belastung indoor mitunter höher ist als beim Fahren draußen.

Eine umfangreiche Studie verglich die Leistung von mehr als 200 Profifahrern in Onlinerennen wie der virtuellen Flandernrundfahrt oder dem virtuellen Giro d’Italia und kam zu dem Schluss, dass die Top-10-Fahrer mit einer Durchschnittsleistung von fünf bis sechs Watt pro Kilo Körpergewicht unterwegs sind. Werte, die draußen eher in Anstiegen getreten werden.

Der vermeintliche Grund laut Studie: „Die Fahrer sind nur 45 bis 90 Minuten unterwegs und nicht drei bis sechs Stunden. Deshalb haben sie keine Chance, irgendwann rauszunehmen und Energie zu sparen. Sie müssen über recht lange Zeit all-out gehen, was sie an ihre körperlichen Grenzen bringt.“

Und selbst, wenn man „nur mal mitrollen“ wollte, ist die Wahrscheinlichkeit doch da, sich von der Gruppe mitreißen zu lassen und etwas härter in die Pedale zu treten als eigentlich geplant (und sinnvoll).

Andere Muskelbelastung auf der Rolle

Die Intensität ist also eine andere beim virtuellen Radeln, aber auch die Muskelbelastung. Denn auf der Rolle sitzt man im Vergleich zum Fahren draußen recht statisch auf dem Sattel. Man geht seltener in den Wiegetritt, muss keine Bodenunebenheiten ausgleichen oder sich in die Kurve legen.

Dieses Statische ist es auch, was die Fahrtechnik verkümmern lässt – und die Laufökonomie, falls man überwiegend auf dem Laufband (und online) unterwegs ist. „Kurventechnik, Abfahrtstechnik, Windschatten fahren und das Gefühl für Geschwindigkeit geht verloren, wenn man nur auf der Rolle fährt.

Beim Laufen auf dem Laufband muss man sich nicht aktiv vom Boden abdrücken, das geht auf Kosten der Laufökonomie und -technik“, warnt Trainer Dan Lorang und rät, auf eine Mischform aus In- und Outdoor-Training zu setzen, wobei er hierfür keine fixen prozentualen Anteile am gesamten Training angeben kann und möchte: „Sowas festzulegen, ist schwer, weil sehr individuell, und immer auch davon abhängig, warum jemand auf der Rolle oder draußen unterwegs ist“, sagt er.

Den Indoor-Anteil anpassen

Bei Nils Frommhold schwankt jedenfalls der Anteil von virtuellem und Draußentraining: „Bei mir dreht sich das Verhältnis von 80 Prozent Indoor-Training mit Zwift und 20 Prozent draußen fahren vom Winter zum Sommer um. Mir fällt Racepace draußen leichter. Trotzdem bin ich das gesamte Jahr jede Woche auch mal auf der Rolle, zum Beispiel für hochintensive Einheiten.“

Auch wenn beispielsweise ein Hobbyathlet vor oder nach der Arbeit oft nur eine Stunde Zeit hat, mit dem Rad aber erst mal eine halbe Stunde aus der Stadt rausfahren müsste, kann und sollte er öfter indoor trainieren, um die verfügbare Zeit bestmöglich zu nutzen.

Jemand, der körperlich topfit ist, sich die gute Wettkampfzeit aber regelmäßig damit vermasselt, dass er wie auf Eiern um die Kurve fährt oder bergab mehr bremst als rollt, der sollte den Fokus aufs Fahren draußen legen:

„Da kann man auch mal aufs Mountainbike wechseln, um an der Fahrtechnik zu feilen oder mit dem Rennrad Hütchenparcours fahren“, empfiehlt Dan Lorang.

Und was ist mit Spaß?

Anders sieht es aus, wenn jemand Zwift & Co. einfach zum Spaß nutzt, um in Bewegung zu bleiben; sei es aus Zeit- oder Pandemiegründen. Dann können der Spielcharakter und das gemeinsame Fahren mit anderen Sportlern aus aller Welt eine tolle Motivation sein, um nicht dauerhaft auf dem Sofa zu versacken.

Fazit: Zwift & Co. sind gute Ergänzungen fürs Training. Sie bringen Abwechslung, verbinden Leute weltweit, bieten viele Möglichkeiten, motivieren und erlauben sowohl gezieltes Training als auch gemeinsame Wettkämpfe und Gruppenfahrten.

Aber sie können nicht alle Aspekte des Sports abdecken: So belastet man sich anders, braucht keine Fahrtechnik und auch unsere Sinne sind draußen deutlich aktiver.

Wer einfach Spaß haben will, kann sich in den virtuellen Welten austoben, solange er darauf achtet, nicht so zu überziehen, dass es gesundheitsgefährdend wird. Wer sich verbessern möchte, hat die Möglichkeit, dies in einem abwechslungsreichen Umfeld zu tun, wenn er sich an die Trainingsvorgaben hält und die virtuelle Welt nur als „Entertainment“ nutzt.

Ein guter Virtual Racer ist jedoch nicht automatisch auch ein guter „Real-Wettkämpfer“ und umgekehrt. Egal ob auf dem Rad oder beim Laufen.

Vor- und Nachteile virtuellen Trainings*:

  • Vorteile
    o erschwinglich, nutzbar für eine große Budget-Range
    o realistische Simulation verschiedener Umfelder
    o höhere Sicherheit im Vergleich zum Fahren auf der Straße
    o mehr User- und Gruppeneinbindung aufgrund des Spielcharakters
  • Nachteile
    o Genauigkeit schwankt je nach verbundenem Endgerät.
    o Es gibt immer mal wieder Fälle von „Cyber Doping“.
    o Probleme mit Hard- und/oder Software können auftreten.
    o Die Fahr-/Lauftechnik kann leiden.
  • *Quelle: Auszug aus Picerno, P. et al. (2021). Virtual Training of Endurance Cycling – A Summary of Strengths, Weaknesses, Opportunities and Threats. In: Frontiers in Sports and Active Living https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fspor.2021.631101/full#B14)

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3 Kommentare

  1. Hallo Niclas, interessante Kommentare und Info‘s. Freu mich auf den Newsletter