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Gedankenspiel – Generation Watt: Mit Vorsicht zum Erfolg

23. Januar 2019



Kaum ein technischer Fortschritt hat den Triathlonsport so revolutioniert wie die Wattmessung. Training wird effizienter und effektiver, Wettkämpfe risikoärmer und vorhersehbarer, Athleten vorsichtiger und wahrscheinlich können sie ihre individuellen Möglichkeiten dadurch optimaler ausschöpfen. Aber was würde eigentlich passieren, wenn man auf dieses Tool im Wettkampf nicht mehr zurückgreifen dürfte? Ein Gedankenspiel.

Ohne Wenn und Aber: Die Vorteile und Möglichkeiten der wattbasierten und -gesteuerten Leistung liegen auf der Hand. Das gilt fürs Training und für den Wettkampf. Zum einen lassen sich mit Hilfe von Leistungsdiagnostiken sehr genaue Trainingsbereiche festlegen, um das Bestmögliche aus der wertvollen Trainingszeit herauszuholen. Zum anderen kann eine wattbasierte Pacingstrategie für den Wettkampf letztendlich über persönlichen Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Denn kennen wir unsere Leistungsbereiche, wissen wir auch zu welcher Leistung wir über welche Dauer im Stande sind. Wir können ableiten wie viel Energie wir verbrauchen, wie viel wir aufnehmen müssen. Und welche Watt-Grenzen wir nicht überschreiten sollten, um auch beim Laufen noch aus dem Vollen schöpfen zu können.

Kennen wir unsere Watt- und Leistungsdaten, können wir das Risiko des Scheiterns im Rennen erheblich minimieren.

Das ist alles schön und gut und nachvollziehbar. Allerdings möchte ich heute auf etwas ganz Anderes hinaus. Mich beschäftigt nämlich der Gedanke, wie es wohl wäre, wenn man als Athlet im Wettkampf diese Kontrollmöglichkeit eben nicht hätte. Wenn man sich wieder auf sein Gefühl, sein Gespür und seinen Instinkt verlassen müsste? Weil, Hand aufs Herz, die meisten Wettkämpfe sind durchaus vorhersehbar und heroische Alleingänge auf dem Rad gibt es schon lange nicht mehr. Nicht, dass es erstrebenswert ist nur auf dem Rad ganz vorne zu sein und dann beim Laufen ins offene Messer zu rennen.

Aber für Spannung hat es doch auf jeden Fall gesorgt, wenn eine gewisse Portion Ungewissheit, eine unbekannte Variable sozusagen, mit im Rennen war.

Neue Ära: Sebastian Kienle schwenkt um

Einer, der bis zuletzt auf Wattmessung im Wettkampf verzichtet hat, ist Sebastian Kienle. Die Galionsfigur der bärenstarken deutschen Radfahrer im Triathlon. Warum hat er so lange auf die offensichtlich hilfreichen Daten im Rennen verzichtet? Und warum wird es ab dieser Saison anders?

Sebi erklärt: „Ich bin der Überzeugung, dass man sich damit eine Grenze setzt, die im Rennen nicht hilfreich ist.“  Außerdem lege man dann als Athlet „vorher fest, dass man nicht über xy Watt fahren will oder wenn, dann nur so-und-so-viele Minuten. Das macht Sinn, wenn man das Rennen als Einzelzeitfahren betrachtet, in dem der Athlet mit der schnellsten Zeit gewinnt. Ich gehe das Rennen allerdings immer so an, dass ich als Erster im Ziel sein will. Im Rennen übertreffe ich oft Leistungen, die ich vorher in Tests gebracht habe. Ich habe viele Athleten gesehen, die in dem taktischen Korsett verendet sind.“

Diese Zeit aber ist jetzt vorbei und Sebi wird, wie die ganze Schar seiner Profi-Kollegen, zukünftig auch mit Wattmessung im Rennen unterwegs sein. Warum jetzt? Die Gründe liefert er persönlich: „Mein neuer Trainer. Ich kann ihn verstehen. Je mehr Daten wir sammeln, desto besser gelingt die Trainingsteuerung. Natürlich will er die Wattmessung auch als Pacing-Tool einsetzen.“ Aber Sebi will sich dennoch treu bleiben:

Im Zweifelsfall werde ich nach meinem Instinkt entscheiden.

Zurück zum Gedankenspiel, das ich in der Einleitung angerissen habe: Wie wäre es wohl, wenn der Einsatz von Wattmessung im Triathlon nicht mehr gestattet wäre? Würden Wettkämpfe spannender werden? Ich sage: Ja und Nein. Sicherlich spielen dann Risikomanagement und Körpergefühl wieder eine größere Rolle als das aktuell der Fall ist – denn die Regeln der Wissenschaft sind nicht zu durchbrechen. Nur weil man sich an einem Tag besonders gut fühlt, wird man trotzdem nicht dazu in der Lage sein 50 Watt mehr zu treten und danach noch eine herausragende Laufzeit abzuliefern, wenn man per se und auf Grundlage von Leistungstests nicht dazu in der Lage ist.

Wird es vielleicht nur „anders spannend“?

Natürlich entsteht Spannung durch Fragen wie: „Na, ob er/sie nicht vielleicht ein bisschen überzockt hat?“ oder „kann er/sie das wirklich bis zum Schluss durchhalten? Geht er/sie vielleicht noch hoch und wird erst kurz vor dem Ziel von den anderen eingesammelt?“ Diese Fragen sind natürlich viel spekulativer zu beantworten, wenn der Athlet im Rennen keine Möglichkeit hat, sich durch die Wattzahlen selbst zu kontrollieren.

Allerdings ist es andersherum auch so, dass durch Wattmessung und die eigene Kontrolle natürlich ganz andere Möglichkeiten ausgeschöpft werden können – vor allem, wenn Athleten nicht schon auf dem Rad überzocken, sondern mit optimalen Voraussetzungen auf die Laufstrecke gehen und dort eine Leistung abrufen, die eventuell nicht möglich wäre, wenn sie auf dem Rad nach Lust und Laune gefahren wären.

Auch Sebi findet dazu keinen fixen Standpunkt und meint: „Dazu habe ich keine klare Meinung. Einerseits finde ich es Blödsinn den Technischen Fortschritt an dieser Stelle zu bremsen. Auf der anderen Seite: Erlaubt man dann auch irgendwann Smartphones im Rennen? Und der Athlet wird komplett Ferngesteuert? Schwierig.“

Eure Meinung ist gefragt

Spielt ihr das Gedankenspiel mit? Wie wäre es wohl, wenn im Triathlon-Wettkampf die Wattmessung verboten werden würde? Das Szenario ist natürlich relativ unrealistisch, aber eure Gedanken dazu würden mich interessieren! Wie ihr im Blog gemerkt habt, fällt es auch mir nicht ganz leicht eine klare Meinung dazu zu entwickeln. Aber generell fände ich es extrem spannend und interessant, was passieren würde, wenn Athleten auf die Wattsteuerung verzichten müssten. Schreibt eure Gedanken und Meinung dazu einfach in die Kommentare unter dem Beitrag auf der Facebook-Seite.

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3 Kommentare

  1. Hey Bocki,

    mir gefällt das Gedankenspiel und ich musste bei der Watt-Messung natürlich auch direkt an die Herzfrequenz-Messung denken. Mit dem Einzug dieser in die Trainingslehre war es ja ähnlich. Wo fängt man dann an und wo hört man auf?

    Ein weiterer Punkt ist aus meiner Sicht, dass man als Athlet ja auch ein gewisses Körpergefühl entwickelt. Speziell die Profis wissen ja ziemlich genau, bei welcher Frequenz und/oder Leistung man fährt. Würde ein Verbot dann überhaupt eine große Veränderung mit sich bringen? Ich glaube nicht.

    Nachvollziehen kann ich dein Gedankenspiel aber trotzdem und finde es auch spannend. Bisher hat der Sport und das Zuschauen aber trotzdem noch nicht an Reiz verloren, wenngleich das Renngeschehen sich sicherlich verändert hat.

    Viele Grüße

    Mischa

  2. Ich fände es gut, es würde viel höhere Spannung für die Zuschauer erzeugen, und für die Athleten selber. Wäre ein Jan F. dann in der Lage einen Soloversuch von Sebastian K. oder die Attake von Lionel S. zu kontern? Oder müssten alle mehr in sich hören um eine Patik N. oder Patrik L. im Laufen abzufangen? Es würde auch zu einem durchmischen der Semipro‘s ala Patrik D. oder Mark D. oder Fabian R. führen. Da jeder auf dich hören muss und nicht dem Ruf des Ego folgen kann, weil er weiß das er noch 10W „Luft“ nach oben hat. Es würde auch im Training Veränderungen erzeugen, da man plötzlich wieder „Gefühlseinheiten“ machen muss.

  3. Hi Bocki,

    vielen Dank für den interessanten Gedankengang. Ohne Erfahrung fällt es mir schwer, mir eine konkrete Meinung zu bilden. grundsätzlich stellt sich mir aber die Frage, warum man den technischen Fortschritt nicht auch im Sport zulassen sollte, solange die eigene Leistung davon nicht geschmälert wird.

    Dein Artikel führt weiterhin bei mir zu Fragen, welche vielleicht auch von Euch im Rahmen eines weiteren Blogposts für die Allgemeinheit beantwortet werden könnte 😉 Quasi als Fortführung Eurer Erläuterungen zu FTP, IF, TSS usw.:

    – Wie erfolgt eine wattgesteuerte Pacingstrategie?
    – Wie kann aus den Leistungsbereichen, welche bspw. im Rahmen eines FTP-Tests ermittelt wurden, gefolgert werden, welche Leistung ein Sportler über welchen Zeitraum im Stande ist zu treten?
    – Wie kann aus dem auf der Leistungsmessung beruhende Energieverbrauch sinnig in eine Ernährungsstrategie überführt werden?
    Kurzum: Welche Möglichkeiten ergeben sich aus der Leistungsmessung zusätzlich zum wattgesteuerten Training und wie setze ich diese (als Anfänger) sinnvoll um?

    Abschließend noch ein großes Lob und Dankeschön an Dich, Jan und alle anderen Involvierten für Euren tollen Content!

    Beste Grüße
    Alex