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Gespräch mit einem Betroffenen: „Ich habe gelernt mit der Depression umzugehen“

04. April 2019



Nachdem wir unsere Serie mit dem Thema „Depression ist eine Krankheit“ vorgestellt und die ersten Beiträge veröffentlicht haben, erreichten uns zahlreiche Nachrichten. Nachrichten von Menschen, die an Depression erkrankt sind. Nachrichten von Betroffenen, die ihre Geschichten und Erfahrungen mit uns teilen wollten. Davor haben wir aller größten Respekt und möchten uns an dieser Stelle bedanken. Nicht nur für eure Offenheit, sondern auch für das Vertrauen, das ihr uns und der Plattform von Pushing Limits damit schenkt. Aus all den Nachrichten hat sich ein Gespräch mit einem Mensch ergeben, der Einblicke in eine Krankheit und den Umgang damit gibt, die dabei helfen ein Bewusstsein für die schlimmen Dimensionen einer Depression zu entwickeln.

Etwas nervös tippe ich eine Nummer in mein Telefon, die ich vor ein paar Tagen erhalten habe. Gleich werde ich mich mit einem Menschen unterhalten, der weiß wie es sich anfühlt depressiv zu sein. Warum bin ich nervös?  Ist es mir unangenehm über eine Krankheit zu sprechen, mit der ich persönlich bisher keine Berührungspunkte hatte und die in der Gesellschaft leider immer noch ein Tabuthema ist? Oder bin ich nervös, weil ich nicht genau weiß, wie ich die richtigen Fragen stellen kann ohne unhöflich oder zu persönlich zu werden? Wo liegen die Grenzen? Nein, ich bin nervös aus Respekt und weil ich plötzlich ein Gefühl von Verantwortung spüre. Ich drücke die Wähltaste.

Ein Gespräch darüber, wie es sich anfühlt depressiv zu sein

Die erste Frage, die mich beschäftigt: Wie fühlt es sich an, als Betroffener, über die Depression zu sprechen? Die Antwort: „Ich habe damit grundsätzlich kein Problem. Ich gehe damit auch relativ offensiv um. Trotzdem ist es so, dass ich dieses Interview lieber anonym machen möchte. Aus dem einfachen Grund, da es an meinem letzten Arbeitsplatz Probleme gab, nachdem ich meinen Vorgesetzten über die Krankheit informiert habe.“ Als ich später im Gespräch nochmal auf diese Aussage zurückkomme und wissen möchte, welche Probleme es denn waren, wird mir klar, dass Depression eine Krankheit ist, die noch weit von Akzeptanz und Toleranz in unserer Gesellschaft entfernt ist: „Drei Tage nach dem Gespräch wurde ich entlassen.“ Aufgrund der kleinen Betriebsgröße war eine Kündigung tatsächlich möglich.

Ich erfahre, dass bei ihm vor knapp 22 Jahren erstmals eine Depression festgestellt und diagnostiziert wurde. Seine Geschichte in die Depression hat zwei Stränge. Zum einen litt seine Mutter unter Depressionen, sodass bei ihm erbbedingt die Anfälligkeit für Depressionen bereits höher war. Zum anderen wurde während seiner Ausbildung eine schwere orthopädische Diagnose gestellt: Die Ärzte sagten voraus, dass er nie wieder wirklich sportlich aktiv sein könnte. Für ihn, als ehemaliger Leistungssportler, ein herber Schlag, mit dem er nicht wusste umzugehen. „Diese Situation hat mich komplett runtergezogen. Dann kam zum ersten Mal verstärkt das Thema Alkohol hinzu – nicht zum feiern, sondern um meine Gefühle wegzudrücken.“ Den Weg aus diesem Loch suchte er sich damals selbst.

„Ich habe gemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmt und meine Mutter hat mich dabei bestärkt, dass ich mir Hilfe holen muss.“ Zwei Mal begab er sich in dieser Zeit in die Obhut einer Tagesklinik, lernte seine Selbstreflexion noch stärker und besser zu entwickeln, Dinge zu hinterfragen und vor allem einen Weg, wie er mit seinen depressiven Phasen umgehen kann.

Ein Leben in Extremen

„Ich muss immer noch an mir arbeiten und versuchen, dass ich Dinge nicht nur schwarz oder weiß sehe. Bei mir gibt es häufig nur ein ganz oder gar nicht. Gehe ich jetzt raus und haue mir beim Radfahren fünf Stunden lang in die Fresse? Oder trinke ich drei Bier? Es gibt auch einen Bereich dazwischen, den ich aber manchmal nicht sehe.“

Ein paar Jahre kommt er gut klar, hat die Krankheit eigentlich im Griff: „Ich dachte, ich bin aus dem Schneider“, sagt er heute. Als es auf der Arbeit aber zu extremer Überlastung und zu Problemen in der Ehe kommt, der Rückfall: „Als ich mit den Problemen zu meinem Hausarzt kam und ihm die Situation geschildert habe, hat der mich schon nicht für voll genommen. Obwohl dieser Arzt wirklich vom Fach war und selbst in der Psychiatrie gearbeitet hatte. Sowas tut dann einfach weh.“ Die einzige Hilfe, die er bekam, war eine Liste mit Therapeuten zum abtelefonieren. Die Wartezeiten, um die dringend benötigte Unterstützung für den Umgang mit der Krankheit zu bekommen, betrug über ein halbes Jahr. „Ich hatte in dieser Situation insofern Glück, da es in meiner Umgebung eine Tagesklinik gab, bei der ich dann vorstellig geworden bin. Zwar musste ich auch hier mehrere Monate auf einen Platz warten, aber es hat dann geklappt.“ Und in der Zeit dazwischen? „Mir blieb nichts anderes übrig als es auszuhalten. Es wäre sicherlich eine Möglichkeit gewesen die 112 zu rufen, zu sagen ich kann nicht mehr und mich einliefern zu lassen.“ Eine Phase, in der er sich zurückgezogen und die Einsamkeit gesucht hat. Und eine Phase, die letzten Endes seine Beziehung zerstört hat.

Ich möchte wirklich fett unterstreichen, dass es extrem wichtig ist, dass sich in so einem Krankheitsfall auch die Angehörigen professionelle Hilfe suchen. Das ist das absolute A und O, ohne das wird es nicht gehen.

Wie fühlt sich eine depressive Phase an?

„Hilflos. Ich ziehe mich extrem zurück, liege im Bett. Es ist eine Schwere, die mich beeinträchtigt, Hoffnungslosigkeit. Es ist etwas Lähmendes, es fühlt sich nach ’nicht weiterkommen‘ an. An diesem Punkt gerätst Du leicht in eine Spirale, die Dich noch mehr abwärts zieht. Und das ist das gefährliche, das sind die Bereiche mit suizidalen Tendenzen. In meinem Kopf dreht sich ein Gedankenkarussell, dass sich jemand von außen betrachtet nicht vorstellen kann.“

Es gibt aber auch Moment des Antriebs: „Ich lese, höre vielleicht Musik. Aber ich bin quasi unfähig zu weiteren Aktionen. Manchmal ist es vielleicht noch so, dass ich es schaffe aufs Rad zu steigen und mich wenigstens zu bewegen um überhaupt ein bisschen frische Luft zu bekommen.“

Wie geht er mit der Depression um?

„Aus dem Sport kennen wir ja diese Methode, dass wir uns in einem Wettkampf kleine Zwischenziele stecken. Beim Marathon zum Beispiel von Verpflegungsstelle zu Verpflegungsstelle. Ich sage mir also ‚Ich muss bis zu dem Punkt, bis zu dem Punkt, bis zu dem Punkt‘. Wenn dieser Ansatz oder Startpunkt gefunden worden ist und der Weg durch einen Therapeuten begleitet wird, dann geht es mir Schritt für Schritt besser. Die Herausforderung ist aber riesig groß. Als erstes muss ich erkennen, dass ich krank bin. Dann den Entschluss fassen, dass ich professionelle Hilfe benötige. Und mir diese Hilfe dann suchen und sie vor allem finden. Der Umgang mit der Depression ist für mich Stückwerk.“

Er spricht von Reißleine ziehen, den Moment erkennen, an dem es vielleicht nicht mehr weitergeht. Ein solcher Punkt war 2016 erreicht, die Depression so stark, dass er für keinerlei Wohlergehen für sich oder sein Umfeld mehr garantieren konnte. Seine Erfahrung mit der Krankheit, die Therapien in den Tageskliniken und seine Selbstreflexion helfen ihm bei einem radikalen Schritt: Er lässt sich in die geschlossene Psychiatrie einweisen und wechselt einige Tage später in die offene Betreuung. Ein Tiefpunkt, aus dem er sich heraus kämpft. „Mittlerweile habe ich einen neuen Job gefunden, in dem ich absolut happy und eine neue Beziehung in der ich sehr glücklich bin.“

Unser Gespräch wird allgemeiner. Wir sprechen über die deutsche Gesellschaft, Leistungsdruck und wie Depression als Krankheit aufgenommen wird. Und wir sprechen darüber, dass das anonyme Interview eine Art Selbstschutz für ihn ist. „Es ist ein bisschen so, dass man Angst haben muss ehrlich zu sein, da die Reaktionen bei Mitmenschen, Kollegen oder allgemein in der Gesellschaft unvorhersehbar sind. Natürlich ist das schade. In unserer Gesellschaft gibt es keine Umgangsform für Depressionen. Um es salopp zu formulieren: Du musst Leistung bringen, Du musst funktionieren. Wenn Du nicht funktionierst? Abgehakt, weggeschmissen. Und wie soll sich das ändern? Wir alle sind so auf Leistung gepolt, wir müssen ständig alles steigern und optimieren und dann ist kein Platz für Menschen, die mit Depressionen zu kämpfen haben.“

Wie hat die Depression sein Leben verändert?

„Ich habe akzeptiert, dass ich krank bin und verurteile mich nicht deswegen. Zum einen ist es eine Begleiterscheinung meines Lebens. Zum anderen kann ich mittlerweile aber auch sagen, dass mich die Depression stärker gemacht hat unterm Strich. Gerade bin ich in einer sehr guten Phase, trotzdem weiß ich, dass ich nicht gefeit davor bin, dass es auch wieder anders sein kann. Ich versuche all das Positive, was ich gerade erlebe und dieses Gefühl der Festigung, auch mitzunehmen. Und wenn es kleinere Rückschläge gibt, versuche ich diese nicht so sehr an mich heranzulassen. Aber dennoch ist es nach wie vor extrem schwierig, sich an diese gute Zeit zu erinnern oder es sich vor Augen zu führen, dass alles auch besser sein kann, wenn es wieder eine depressive Phase gibt. Ich musste auf jeden Fall lernen mit der Krankheit zu leben.“

Unser Gespräch geht zu Ende. Wir verabschieden uns, ich lege auf und lasse das Telefonat erstmal sacken. Es hat mich aufgewühlt und mitgenommen. Aber es zeigt mir, dass es der richtige Weg ist, dass wir uns bei Pushing Limits mit diesem Thema und der Krankheit befassen. Dass wir hinterfragen, gesellschaftskritisch sind und uns mit Dingen beschäftigen, die vielleicht in Bereiche gehen, die leider oftmals ausgeklammert oder vermieden werden.

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3 Kommentare

  1. Es ist wichtig das es endlich akzeptiert wird Depression als Krankheit zu sehen u das es jeden treffen Kann!!!!

  2. Hi Nicklas,

    ich möchte Dich und auch Jan und den Rest Eures Teams bestärken weiterhin solche Themen aufzugreifen.
    Wie schon oft geschrieben bin ich selbst betroffen und finde gerade diese Reihe enorm wichtig, denn ich glaube noch immer das dieses Thema auch im Leistungssport weitaus mehr verbreitet ist, als es uns allen bewusst ist.

    Ich möchte auch Deinem Telefonpartner für die Offenheit danken. Selbst wenn er seinen Namen nicht nennen möchte, was ich durchaus verstehen kann finde ich es denn noch sehr wichtig gerade für Menschen die selbst nicht betroffen sind. Aber es zeigt mir, wie unterschiedlich sich doch diese so heimtückische Krankheit äußert und wie unterschiedlich doch jeder damit umgeht.

    Ich kann nur allen die diese Serie aufmerksam verfolgen ans Herz legen immer mit einem offenen Auge durch s Leben zu gehen, gerade was enge Freunde, Familie und Menschen im Umfeld angeht. Mit etwas Feingefühl wird man merken das etwas beim Gegenüber nicht stimmt bzw. sollte ich besser sagen, das sich ein Mensch verändert. Da ich selbst weiß wie schwer es ist einen geeigneten Psychologen zu finden ist es für diese Menschen oft enorm wichtig ernst genommen zu werden. Manchmal reicht vielleicht schon ein offenes Ohr um das Problem los zu werden und manchmal reicht das eben nicht und man braucht Hilfe.

    Ich möchte Euch auf diesem Weg auch noch mitgeben, das es mitlerweile auch Hinweise gibt, dass unsere Ernährung Depressionen fördern können und es nicht immer nur daran liegt, was in unserem Leben passiert oder auch genetisch bedingt ist.

    Macht weiter so und ich bin schon gespannt, was als nächstes in dieser tollen Serie passiert.

    Euch und vor allem Dir Niclas wünsche ich auf jeden Fall noch weiterhin viel Mut bei diesem Thema.

    LG Sandra

  3. In meinen Augen sind Depressionen keine Krankheit. Es ist vielmehr eine natürliche Abwehrreaktion des Körpers auf unsere Gesellschaft. Die meisten Arbeiten die zur Verfügung stehen sind unerfüllend und reine erzwungene Sklaverei. Zusätzlich kommen weitere Verpflichtungen auf den Menschen zu, dass sich ein wahrer Berg auftürmt, der nur mit Dauerstress zu bewältigen ist. Computer, Emails, Briefe, Behörden und Verwaltungsangelegenheiten. Die soziale Ungerechtigkeit ist ein weiteres großes Thema. Das obere Prozent der Gesellschaft lebt im saus und braus, unten kann man sich kaum mehr eine Wohnung leisten und hat ständig Geldsorgen. In unserer Gesellschaft ist körperliche Gewalt per Gesetz unterbunden, der Mensch hat jedoch eine gewalttätige Natur und Feindbilder, dadurch verschiebt es sich dort ebenfalls auf den psychischen Bereich, mit Mobbing, Hassreden, Denunzieren, verklagen.. man kann Menschen psychisch enorme Gewalt zufügen. Alle Bereiche der Wirtschaft sind psychisch bis aufs letze hochoptimiert. Die Haltung der Menschen ist einfach nicht artgerecht – die meisten wünschten sich alleine im Wald zu sitzen ohne diesen ganzen Stress der „modernen Welt“.