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Taktisches Radfahren: Leistungsvorteil in der Gruppe?

25. April 2018


Taktisches Radfahren

Allein unterwegs oder als Teil einer Gruppe? Wie groß ist der Leistungsunterschied auf dem Rad tatsächlich? Am Beispiel der Challenge Gran Canaria lassen sich die Auswirkungen erstaunlich deutlich aufzeigen. Niclas und Nis analysieren die Leistungsdaten des Siegers.

Es gibt einen neuen Unruhestifter auf der Mittel-Distanz: Pablo Dapena González aus Spanien. Erst wird er Zweiter bei der Challenge Roma und nur eine Woche später verweist er bei der Challenge Gran Canaria nicht nur einen starken Andi Böcherer, sondern auch Hawaii-Champion Patrick Lange auf die Plätze. Seine herausragenden Stärken liegen beim Schwimmen und Laufen. Bei STRAVA haben wir seine Rad-Auswertung mit allen wichtigen Daten gefunden und sie für Pushing Limits analysiert.

Die Leistungsdaten von Pablo Dapena, gesamte Strecke

Challenge-Gran-Canaria-Dapena-Analyse-Gesamt

Die blanken Zahlen sagen, dass Dapena 265 Watt im Durchschnitt über 90,3 Kilometer gefahren ist. Diese Leistung beförderte ihn in 2:21:33 Stunden über die mit 1.411 Höhenmeter gespickte Strecke. Andi Böcherer benötigte 2:18:44 Stunden und wechselte, nachdem er mit einem Rückstand von 37 Sekunden nach dem Schwimmen auf die Radstrecke gegangen war, mit einem Vorsprung von 2:12 Minuten auf den Halbmarathon.

Dapena wechselte fast zeitgleich mit Patrick Lange und Sven Riederer auf die Laufstrecke. Patrick nahm den Halbmarathon nur neun Sekunden, Riederer nur drei Sekunden vor Dapena in Angriff. Das Deutsch-Schweizerische Duo lag nach dem Schwimmen – wie Böcherer – etwa 30 Sekunden hinter dem Spanier. Insgesamt dauerte es fast 40 Kilometer, bis sie den Vorsprung wettgemacht hatten und das Rennen nochmal richtig an Dynamik zulegte. Die ersten 40 Kilometer war Dapena also allein unterwegs – das ist für unsere Analyse besonders relevant.

Andi suchte sein Heil in der Flucht und legte erst einige Sekunden, dann Minuten zwischen sich und die Gruppe. Wir gehen für diese Auswertung davon aus, dass in der Gruppe regelkonform gefahren wurde. Interessant ist allerdings, dass alle Zwischenzeiten und Berichte eines nahe legen: Nämlich, dass Lange und Riederer fast ausschließlich die Führungsarbeit geleistet haben. Dapena hielt sich demnach konsequent an dritter oder vierter Position in dieser Gruppe.

Ein Blick auf die selbst veröffentlichten Leistungsdaten von Dapena zeigt, wie sich diese Fahrweise auswirkt: Knapp 40 Kilometer war Dapena nach dem Schwimmen auf sich allein gestellt. Beachtliche 287 Watt drückte der kleine, aber muskulöse Spanier (laut Wikipedia ist er 1,68 m lang und wiegt 65 kg) auf dieser Passage im Schnitt. Schaut man sich die Strecke genauer an, dann sind die ersten 40 Kilometer vermeintlich etwas einfacher als die restlichen 50 – die Dapena dann ja, wie beschrieben, in der Gruppe zurücklegte.

Wichtige Info

  • Es geht in diesem Beitrag nicht darum, irgendeine Unterstellung in Sachen Windschattenfahren zu machen. Sondern ausschließlich um den Effekt einer Radgruppe beim Triathlon. Alles andere können wir allein anhand der Daten nicht herauslesen oder bewerten.

Wir sind zuerst stutzig geworden, als wir gesehen haben, dass Dapena für die 50 Kilometer in der Gruppe durchschnittlich nur noch 247 Watt benötigte. Das sind immerhin 40 Watt weniger als auf den ersten 40 Kilometern. Also gut 14 Prozent Leistungsunterschied. Oder anders gesagt: Jede Menge.

Vergleicht man die beiden Abschnitte noch weiter, dann fallen folgende Details ins Auge: Auf dem ersten Abschnitt gab es 18 Teilstücke – zusammengerechnet etwa 800 Meter – bei denen Dapenas Wattmesser Null anzeigte. Auf dem zweiten Abschnitt, der natürlich auch etwa zehn Kilometer länger war, rollte er geschlagene 38 Mal (fast zwei Kilometer) ohne Leistung auf dem Pedal.

Die Leistungsdaten von Pablo Dapena, die ersten 40 Kilometer

Challenge-Gran-Canaria-Analyse-Abschnitt-1

Die Leistungsdaten von Pablo Dapena, die restlichen 50 Kilometer

Challenge-Gran-Canaria-Dapena-Analyse-Abschnitt-2

Der Blick auf beide Grafiken veranschaulicht relativ gut den Effekt zwischen „Fahren in der Gruppe“ und einem Soloritt. Ist die lilafarbene Kurve in der Mitte auf der ersten Abbildung noch verhältnismäßig konstant, was für eine gleichmäßige Leistung Dapenas spricht, wird sie auf der zweiten Abbildung deutlich unruhiger und unrhythmischer. Das mag daran liegen, dass die Leistung bergauf annähernd gleich bleibt – hier kommt eben kaum Windschattenfaktor zu tragen. Sobald es aber flach wird oder gar bergab geht, rollt man an den Vordermann heran. Folglich sinkt die Leistung oder man muss sogar bremsen, um einen regelkonformen Abstand zu halten. Die Leistung wird also ungleichmäßig, sinkt aber bergab deutlich. Dadurch kommt  eine klar niedrigere Durchschnittsleitung zustande.

Ganz klar wird das, wenn man sich die Rundenzeiten und einzelne Segmente anschaut. Auf der mehrfachen Wendepunktstrecke war Dapena auf seiner ersten Runde allein unterwegs und brauchte für das STRAVA-Segment „Tauro-Taurito“ (5,58 km, 85 m) 9:31 Minuten. Dafür waren allein im Wind 284 Watt notwendig. Das gleiche Segment fuhr er auf der vorletzten Runde als Teil der Gruppe exakt gleich schnell, nämlich in 9:31 Minuten. Diesmal genügten dafür allerdings 254 Watt. Ein Unterschied von genau 30 Watt.

Das sagt der Aero-Experte

Wir haben den Aerodynamik-Experten Jean-Paul Ballard zu diesen Unterschieden gefragt. Der Gründer und Geschäftsführer von Swiss Side meint dazu: „Wir haben zu diesem Thema mehrere Simulationen berechnet und Messungen auf der Straße gemacht. Sie belegen, dass bei zehn Metern Abstand eine aerodynamische Einsparung von bis zu 13 Prozent möglich ist. Sinkt der Abstand auf fünf Meter, so können bis zu 20 Prozent Leistung eingespart werden. Im konkreten Fall würden das bei regelkonformem Fahren rechnerisch 37 Watt sein (Dapena trat allein im Wind ja 284 Watt), bei fünf Metern Abstand sind bis zu 57 Watt möglich.“

Die gemessenen 30 Watt Unterschied überraschen den Experten nicht: „Wenn er sich in der Gruppe nicht in der Führung beteiligt hat und auf der Runde zusätzlich immer wieder Agegrouper überholt werden und dabei kurzzeitig (mindestens seitlich) Windschatten geben, ist das absolut realistisch.“

Diesen Vorteil konnten in geringerem Maße auch die Führenden der Gruppe nutzen, sofern sie sich an der Spitze abgewechselt haben. Aerodynamisch profitiert man übrigens sogar von Jemandem, der HINTER einem fährt.

Vor diesem Hintergrund kann man die Leistung von Andi Böcherer noch besser einordnen. Besonders auf den ersten Laufkilometern dürfte ein klarer Unterschied vorhanden gewesen sein.

Denn eines ist ganz klar: Dapena (und jeder andere in der Gruppe) konnte seine Kräfte auf den letzten Radkilometern im Vergleich zu seiner Alleinfahrt schonen und damit frischer in den Halbmarathon starten, als wenn er allein gefahren wäre. Seine Laufleistung ist mit 1:09:24 Stunde phänomenal. Zum Vergleich: Patrick Lange rannte den Halbmarathon in 1:10:39, Böcherer in 1:11:50 Stunden. Es wäre natürlich spannend, hätte man zum Vergleich die Leistungsdaten von Lange oder Riederer zur Hand, um zu sehen, welche Wattzahlen sie in der Führungsarbeit leisten mussten.

Um es dann auf die Spitze zu treiben, bräuchte man noch das Gesamtgewicht von Fahrer und Material, um die eigentlich entscheidenden Parameter von Watt pro Kilogramm herauszufinden. Erst dann könnte aus der Analyse ein Vergleich der Leistung werden. Das können wir nicht bieten. Wir finden aber, dass man aus den Leistungsdaten eine Menge herauslesen kann und freuen uns, dass Dapena diese so einfach veröffentlicht.

Unser Fazit

Wir glauben, dass die analysierten Messdaten deutlich zeigen, wie unterschiedlich die Belastung innerhalb des gleichen Rennens sein kann und wie viel Unterschied es tatsächlich macht, ob jemand allein oder mit angenommenen 10 Metern Abstand zum Vordermann unterwegs ist.

Offenbar braucht es mehr als diese 10 Meter, wenn man im Triathlon tatsächlich ein Rennen mit gleichen Bedingungen für alle schaffen möchte. Interessant wäre jetzt für uns, ob die bei der Challenge Samorin geforderten 20 Meter Abstand diese Bedingungen schaffen.

Ist ein „fairer“ Wettkampf mit gleichen Bedingungen überhaupt möglich? Unter welchen Voraussetzungen? Was meint ihr?

P.S.: Respekt an Andi Böcherer, der rein sportlich die stärkste Tagesleistung gezeigt hat. Dass das nicht immer für den Sieg reichen muss, ist im Sport eben so. Spätestens nach dieser Analyse wird uns auch klarer, warum das so ist.

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4 Kommentare

  1. Hallo,
    interessante Auswertung! Das ist z.B. auch einer der Gründe ich bei Lauf- und Freiwasserwettkämpfen versuche immer mich einem Pulk anzuschließen oder zumindest hinter jemanden mit mehr oder weniger Abstand platziere (je nachdem wie streng die Wettkampfrichter sind), weil es spürbar einfacher ist ein hohes Tempo zu halten (wenn man von der Gruppendynamik durch gegenseitige Motivation mal absieht). Das sollte man gerade auf den langen Distanzen nicht unterschätzen. Ich glaube viele Sportler gerade im Amateurbereich machen sich darüber wenig Gedanken, dass sie im Wettkampf durch intelligentes Schwimmen, Radfahren oder Laufen viel Energiesparen können.
    Meine Frage zu der Auswertung. Habt ihr auch mal das Höhenprofil hinter die Leistungsdaten gelegt? Das würde die Aussage bestätigen, dass er im Vergleich zu seinem Solo Ritt deutlich öfter beim Bergab fahren in der Gruppe im Leerlauf gefahren ist.
    Gruß
    Max

  2. Schwierige Geschichte das ganze 😉
    Das wird ja immer wieder diskutiert ob eine 20m Regelung, wie in Samorin sinnvoller wäre!? Ich denke es würde das Rennen noch fairer machen. Wie hoch der Windschattennutzen dann noch ist wäre Mal interessant. Allerdings kann ich mir auch vorstellen das 20m einfach nicht bei den großen Feldern möglich ist. Oder man müsste nur das Profi Rennen so gestalten. Auf jeden Fall finde ich die Leistung von Andi Böcherer grandios. Im Solo das so zu gestalten ist nicht ohne.
    Tschö,
    Maximilian

  3. Hallo zusammen,
    wirklich ein spannendes Thema und interessante Auswertung der Daten.
    Ich habe auch schon an anderer Stelle gelesen/gehört, dass bei 20 m Abstand noch Einsparungen in der Wattleistung messbar sind und daher über die Größe der Windschattenbox nicht nur diskutiert, sondern diese auch wirklich vergrößert werden sollte, um einen möglichst fairen Wettkampf zu ermöglichen.

    Ich kenne mich mit Wattmessungen nicht so besonders gut aus, aber meiner Meinung nach geht ihr bei eurer Auswertung der Daten etwas unvorsichtig bzw. nicht kritisch genug damit um.
    Zum Beispiel der Parameter Geschwindigkeit, diesen sollte man hier noch stärker berücksichtigen, denn der gute Dapena ist bei seinen ersten 40 km, die er alleine im Wind gefahren ist, im Durchschnitt auch deutlich schneller gefahren. Erkennt man gut in den Diagrammen – alleine fast 40 km/h und die letzten 50 km dann eher 37 km/h – womit für mich ein deutlich messbarer Unterschied in der Wattleistung relativ logisch erscheint.

    Selbst ich (reiner Hobbytriathlet) merke ja den Unterschied in ein paar km/h Unterschied in meiner Durchschnittsgeschwindigkeit deutlich. Auch vom Autofahren kennt man es, dass man bei höherer Geschwindigkeit auf der Autobahn zugucken kann wie die Energie (Sprit) verbraucht wird, wobei ein paar km/h Unterschied im Stadtverkehr vernachlässigbar sind. Also je höher die Geschwindigkeit, desto deutlicher macht sich ein geringer Unterschied bemerkbar.

    Klar, in dem zeitgleich gefahrenen Strava-Segment ist der deutliche Wattunterschied schon überraschend und unterstreicht euren Standpunkt sehr gut 😉 Er ist dieses Segment aber 5x gefahren und nur beim ersten Mal ist eine deutlich höhere Wattleistung zu erkennen. Beim zweiten Mal war er fast 10 Sekunden schneller (9:22), hatte demzufolge eine höhere Geschwindigkeit und eigentlich auch mehr Energie benötigen müssen. Er tritt aber ganze 25!! Watt WENIGER, obwohl es noch innerhalb der ersten 40 km war und er somit keinen positiven aber legalen Effekt des Windschattens gehabt haben kann!
    Wenn man dann noch das zweite mit dem dritten Segment vergleicht wird meiner Meinung nach deutlich, dass dieser erhebliche Unterschied in der Wattleistung bei zufällig zeitgleichen Strava-Segmenten, nicht allein auf den positiven Effekt des Windschattens (> 10 m) zurückzuführen sein kann. Es sind – wie ihr auch erwähnt habt – noch andere Parameter wie Wind, Körpergewicht etc. die hier von Bedeutung zu sein scheinen und berücksichtigt werden müssen! Das Argument bezüglich des seitlichen Windschatten beim Überholen von Agegroupern finde ich etwas schwach, da es ja alle Profis weiter vorne im Feld gleichermaßen betreffen müsste.

    Etwas schade finde ich, dass ihr nur das für euch passende aus den Daten heraus gepickt habt, aber die etwas kontroversen Daten nicht erwähnt, geschweige denn diskutiert. Trotzdem dann aber mutige Behauptungen aufstellt wie: „Denn eines ist ganz klar: Dapena (und jeder andere in der Gruppe) konnte seine Kräfte auf den letzten Radkilometern im Vergleich zu seiner Alleinfahrt schonen und damit frischer in den Halbmarathon starten“.
    Ich würde mir wünschen, wenn ihr solche Daten analysiert, diskutiert und dann zu Ergebnissen kommt, dass ihr das etwas kritischer und objektiver machen würdet.

    Sportliche Grüße
    Fabian